Kennt ihr das auch?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal eine Pause von euren Freunden braucht; die einfach nicht sehen wollt, weil ein blöder Satz gefallen ist oder ihr euch drei Tage am Stück auf der Pelle gesessen habt?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal von der Arbeit nach Hause kommt und auf dem Badezimmerteppich zusammen sinkt, weil man im Bad seine Ruhe hat, weil da keiner ist und weil es niemanden etwas angeht, wie lange man dort bleibt?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal hinter Menschen her lauft, weil euch deren Geruch an eine Person erinnert, die ihr mal geliebt habt, oder an ein Haustier, das es nicht mehr gibt? Und ihr lauft dann mehrere duzend Meter mit, weil die Erinnerung so gut tut?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal so brennend an der Meinung anderer zu einem Thema interessiert seid, dass ich während der Diskussion kein einziges Wort sagt, bis irgendwann die Stimmung kippt, und ihr gar kein Wort mehr zum Thema sagen wollt?

Kennt ihr das auch,
dass ihr wochenlang auf einen Moment hin fiebert; ein Treffen ein Gespräch das Ende eines Wartens, und dann, wenn alles geschafft ist und ihr angekommen seid, wünscht ihr euch so weit wie nur irgendwie möglich entfernt vom Hier und Jetzt?

Zum Ende des Kapitalismus

Wir sitzen spätabends im Schnellrestaurant, und mein guter Freund S. erzählt mir vom Ende des Kapitalismus. Es gäbe zwei Möglichkeiten, sagt er: Mit der einen bricht der Kapitalismus entzwei und alles Geld wird wertlos. Mit der anderen explodiert die Wissenschaft – so in zehn, zwölf Jahren – und knackt den Schlüssel zur künstlichen Intelligenz. Binnen kürzester Zeit werden sämtliche Arbeitskräfte (er wirft einen Blick auf die McDonalds-Mitarbeiter hinter uns) durch Maschinen ersetzt. Alle Arbeit des Alltags wird von Robotern übernommen: die Verkäufer, die Kassierer, die Banker, die Fahrer der U-Bahnen.

In beiden Fällen, sagt S., ist er der Gewinner: Zerbricht der Kapitalismus, verschwindet auch sein Minus auf dem Konto – ein Problem verpufft zu Rauch. Und mit dem Einzug der künstlichen Intelligenz werden wir die Einzigen sein, die die Welt noch braucht; die Kreativen, Intuitiven, deren Schaffen noch nicht durch Mathematik zu bezwingen ist.

Im November

Was mir nicht zusagt, ist die Tatsache, dass die Tage einfach so verstreichen; wenn ich im Halbdunklen aufstehe, mich aus dem Bett ins Büro schäle und hier bin, bis irgendwann zum Nachmittagskaffee das Licht draußen wieder verschwindet. Dann ist aus Anfang plötzlich Ende November geworden, ohne dass etwas geschehen ist – oder zumindest ohne, dass ich es als Geschehenes wahrgenommen hätte.

Leseliste / November 2014

Wie bereits beschrieben gibt es für mich kaum etwas besseres als Sofasonntage. An den vergangenen Wochenenden habe ich die intensiv genutzt, um mich durch ein bisschen Papier und Text zu wühlen. Hier ist eine kleine Auswahl.

Peter Licht – Lob der Realität

Seit ich im zarten Alter von 14 Jahren Peter Lichts Song »Wettentspannen« auf einer nächtlichen Autofahrt im Radio hörte, ist er und sein Schaffen ein wichtiger Begleiter dieses Blogs. Mit Peter Lichts neuem Buch »Lob der Realität« knüpft er an seinen 2006 erschienen Gedichtband »Wir werden siegen« an – mit Lyrikfragmenten, Zeichnungen, Dialogen und Geschichten. Eine wunderbare Sammlung, in die man sowohl eintauchen, als auch nur mal kurz erfrischend den Kopf hineinhalten kann. Viel besser in Worte gefasst hat das aber Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung.

Lena Dunham – Not That Kind of Girl

Ich muss gestehen: »Girls« war eine anstrengende Fernsehserie, und auch sonst finde ich Lena Dunham nur bis zu einem gewissen Grad interessant. Vielleicht, weil mir ihre Verkörperung der weiblichen Imperfektion zu perfekt ist, vielleicht auch einfach, weil ich ein Junge bin. Gerade deshalb aber interessiert mich ihr Roman, immer unterlegt mit der Frage, ob und wie man ein solches Buch unter dem Titel »Not That Kind of Boy« füllen könnte. Außerdem muss noch ein weiteres Geständnis gemacht werden: Ich habe das Buch zu mindestens 50 Prozent wegen der Umschlaggestaltung gekauft. Auf Fonts In Use beschreibt Stephen Coles, warum das Design und vor allem die gewählte Schrift Toledo funktioniert.

Leif Randt – Schimmernder Dunst über Coby County

Drei Jahre zu spät stoße ich dank einer Kollegin auf Leif Randt und sein Buch »Schimmernder Dunst über Coby County«, das, wenn wir ehrlich sind, nicht gerade durch seinen verträumten Titel besticht (eher im Gegenteil). Dennoch hat es mich gefesselt und meine Lust auf junge deutsche Literatur erneuert. Leif Randt kommt mit einer Schar von Autoren aus dem Studium in Hildesheim (der Ort, an dem auch die Bella Triste geboren wurde, und der sowieso die Brutstätte junger guter Texte zu sein scheint), und erzählt in seinem Roman auf seichte, lakonische und irgendwie aufreibende Weise von einer Utopie, in der alles perfekt scheint, und gerade deshalb nervös macht. Genauer erläutern konnte das Lena Bopp in der FAZ.

Matthias Stolz: Die Besserbürger

Im ZEIT Magazin erzählt Matthias Stolz über seine Beobachtungen der Ästhetisierung des Alltags; davon, wie wir die minimalsten Dreh- und Angelpunkte unseres Lebens in formschöner Vollendung sehen müssen; wie sich Statussymbole verändern, und dadurch auch unser Wertesystem. Mich hat es nicht gewundert, dass dieser Text so oft von Freunden und Bekannten geteilt wurde – in meinem sozialen Kreis scheint diese Alltagsästhetisierung ein großes Thema und gewissermaßen auch ein Problem zu sein (dem sich aber alle hingeben wollen). Auch witzig: Die Bebilderung des Textes übernahm das Berliner Studio Haw-lin Services (der Inbegriff des Themas, wie man im Freunde von Freunden-Interview beobachten kann).

Matthias Stolz: Die Besserbürger (ZEIT Magazin Nr. 39/2014; 18. September 2014)

Süddeutsche Zeitung am Wochenende

Mitte Oktober erschien die erste Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung am Wochenende«. Der Sinn und Zweck danach ist logisch: Wer hat schon unter der Woche Zeit, jeden Tag eine Zeitung zu durchstöbern? Sich stattdessen am Wochenende ein oder zwei Vormittage mit Kaffee, Sonnenlicht und Texten zu gönnen, die ausnahmsweise mal nicht digital daherkommen, scheint stimmiger. Das habe ich dieses Wochenende gemacht und für gut befunden: Eine schöne Mischung aus Hintergrund, Kurzformat und starken Stimmen geben der SZ ihre Daseinsberechtigung.

Hallo ich bin Erik

Und zum Schluss, natürlich: Eriks visuelle Biografie. Im August ist sie erschienen und mittlerweile auch auf meinem Schreibtisch gelandet. Johannes Erler hat auf 320 Seiten ein wirklich detailliertes und umfangreiches Werk aus Spiekermanns Schaffen zusammengestellt, das Eriks Persönlichkeit und seine Arbeit durch wunderbare Fotos, Kommentare, Stimmen und Stimmungen erzählt. Nadine Roßa erklärt auf Design Made in Germany, warum dieses Buch (nicht nur für Kommunikationsdesigner) besitzenswert ist.

Meine Erwartungen an die Zukunft

Als aktiver Teilnehmer und Mitgestalter der Zukunft habe ich folgende Erwartungen:

An erster Stelle steht – und das ist schon lange überfällig: Ein Fruchtsaft, der wohlschmeckend gegen jedmögliche Alltagskrankheiten (Grippe, Erkältungen, Hautkrankheiten, Magenprobleme, usw. usf.) immunisiert. Ich spreche hierbei nicht von der täglichen Dosis Vitamine, die wir zur Vorbeugung schon jetzt zu uns nehmen können; nein, ich spreche von einem schnell und einfach zubereiteten Getränk, das diese Beschwerden vollkommen aus der Welt bzw. aus dem Körper schafft. Dauerhaft.

Weitergehend wünsche ich mir, anstatt intelligenten Kühlschränken, intelligente Kleidung: Sie soll leicht und sportlich sein, gleichzeitig elegant und einfach zu pflegen. Die Kleidungsstücke bestehen aus einem besonderen Material, das sich der Außen- wie auch der Körpertemperatur anpasst – so kann es sowohl im Sommer als auch im Winter getragen werden; das Mitnehmen von zusätzlichen Jacken oder Regenkleidung wird nicht mehr nötig sein.

Ich wünsche mir, auf einem Vehikel durch die Stadt fahren zu können, das kompakt, schnell und umweltschonend ist. Es ist klein genug, um in öffentlichen Verkehrsmitteln transportiert zu werden, und groß genug, um mich sicher und zügig ans Ziel zu bringen. Außerdem ist das Vehikel in Supermärkten erlaubt, reinigt und repariert sich selbst und verfügt über ein kompaktes, zuverlässiges Schloss.

Ein weiteres leidiges Thema: Haarschnitte! Die müssen in Zukunft nicht mehr durch Friseurbesuche geregelt werden, sondern erfordern lediglich ein Selfie, eine einfach zu bedienende Frisur-Design-Software und eine Spezialkappe, die den gewünschten Haarschnitt in Windeseile auf das Kopfhaar überträgt. Kleine Änderungen (Ausrasieren des Nackens, Kürzung der Schläfen, Nassrasur, usw.) werden anschließend gerne und kostenlos vorgenommen.

Die Zukunft ist befreit von pseudosmarten Armbanduhren und hält stattdessen ein staatliches Verwaltungssystem bereit, das ausschließlich über das Internet erreichbar ist: Bürokratie kann nun am Heim-PC stattfinden und erfordert kein fünfstündiges Warten in stickigen Ämtern mehr. Sogar die Steuererklärung wurde durch User Centered Design in ein einfach zu lösendes Solitaire Online-Game umgewandelt, um auch Menschen mit regulärer Schulbildung eine Möglichkeit zur Abgabe der Steuererklärung zu verschaffen.

Die Zukunft wird gut, ich spüre das! Und wir sind ein Teil davon. Wie Erik so schön sagt: »Alles ist fertig, es muss nur noch gemacht werden.«

Und ich träumte,

durch die leeren Straßen meiner ehemaligen Heimatstadt rennend: In der Dämmerung, einige dutzend Meter hinter mir, spaziert ein Mann. Weil ich pinkeln muss, beschleunige ich meinen Gang; der Mann tut es mir gleich. Er kommt mir näher. Ein zweites Mal drehe ich mich nach ihm um; verwirrt und beunruhigt. Der Mann hat langes, dunkles Haar, zum Pferdeschwanz gebunden. Dunkle Klamotten und unreine Haut, sein herbstgraues Gesicht erinnert mich an Aphex Twin. Er guckt streng und schreitet forsch. Ich schreite forscher, fange irgendwann an zu laufen, gehe in ein unbeholfenes Joggen über; der Mann hält Schritt. Mit einem dritten flüchtigen Blick nach hinten biege in meine Straße ein, der Mann kommt zu nah; schlage Haken zur Türe meines Elternhauses, drücke mit einem Herzschlag die Klingel –

— Und in der Sekunde, in der mir meine Mutter öffnet, kommt der Schnitt, mein Körper steht reglos da, und anstatt in mein Gesicht blickt Mutter in das fiese Grinsen des Verfolgers.

Funktion One

Wie du da stehst, neben dem Turm, im Dunkeln, im Nebel. Ein bisschen wie Stahl, ein bisschen wie Holz, wie ein Wald, wie ein Krieg durchdringt uns das Donnergrollen. Wie das Glimmen deiner Zigarette die Nasenspitze zum Leuchten bringt. Und das harte Arbeiten der anderweitigen Körper, nur du ruhig dastehend und wie du abwegig drein schaust, den Blick nach unten gerichtet. Und ach ja, hier ich, am anderen Ende des Nebels, jage Blicke durch die gelegentlichen Funken, die den Raum zitternd machen und wie ich durch die Nebeldecken grabend, auch zittern muss. Ein Zeitstop in meiner Verfolgungsjagd, Blaulicht, Flackern, Lärm und Muskeln – Ich Enter The Void, grabe mich vor, auf dich zu, und du da am Rand, formst die Mitte hier drin.