Allesandersplatz

Haus der Statistik am Alexanderplatz

Manchmal fahre ich mit meinem Fahrrad über den Alexanderplatz. Ich dränge mich durch die Kreuzungen und roten Ampeln und Massen an Autos, und ich denke: Diese Stadt ist wirklich kompliziert geworden. Nichts hier ist mehr einfach. Das Fortkommen, das Ankommen; überall stellen sich Leute in Schlangen. Alle wollen aneinander vorbei. Ich stehe dann an der Kreuzung und schaue auf das Haus der Statistik. Über die letzten Jahre war es zu einer Ruine verkommen, nun wird es eingerüstet, und vermutlich wird irgendetwas damit passieren. Die großen roten Buchstaben STOP WARS verblassen so langsam. Auch das ist kompliziert geworden. Pazifist sein ist kompliziert geworden.

Und dann, wenn sich der Winter dem Ende neigt, und ich gegen 17 Uhr über die Jannowitzbrücke oder durch das Regierungsviertel fahre, und die Touristen am Ufer der Spree flanieren, und die Sonne so langsam untergeht, dann denke ich trotzdem immer noch: Diese Stadt ist die richtige.

Februar-Liste 2023

Collage mit Bildern aus dem Februar: Hund, Notizbuch, Portrait-Zeichnungen

  • Sich im Home Office unproduktiv fühlen: schrecklich. In einem Büro mit Menschen unproduktiv sein: Fun! Ich arbeite seit Beginn der Pandemie fast ausschließlich remote, und Village One ist auch darauf ausgelegt. Aber der Effekt, dass kreative Orte auch neue Ideen entstehen lassen, ist real, und ich vermisse ihn ab und an.
  • Was mögen Menschen, die erst seit ein paar Wochen auf dieser Welt sind? Ich stehe in einer riesigen Kinder-Abteilung und kaufe: Nichts. Diese neuen Menschen wissen doch nicht mal, was der Himmel ist, und wie viele Geräusche es gibt, und wie man jemandem richtig die Hand schüttelt.
  • Ich treffe Kiwi im Edeka Center am Moa-Bogen. Seit Jahren suchen wir ein gemeinsames Hobby, und jetzt fällt es uns wie Schuppen von den Augen: SHOPPEN! Das ist es! Wir durchforsten den riesigen Supermarkt nach neuen, unerwarteten Produkten, gestikulieren wild über Preiswucher und stellen ein künstlerische Auswahl Schokonüsse für Nadine zusammen. Um ein Haar hätte ich auch noch das Weingummi-Bouquet gekauft.
  • »It’s not about getting it right, it’s just about getting it«, sagt die Künstlerin Maira Kalman im On Being Interview. Ich mache mir ihr Zitat ab jetzt zum Motto.
  • Warum kriege ich nichts gebacken?! (Frage ich mich dick eingekringelt im Tagebuch)
  • Ok nicht ganz: Habe Apfelkuchen gebacken!
  • Februar 2023: Das erste Mal Hundekot eingesammelt. Das war für mich immer einer der größten Gründe gegen einen Hund. Turns out: Es ist gar nicht so schlimm. Alle, die ihren Hundekot nicht entfernen, sind absolute LOSER!
  • Als wüsste ich es nicht schon längst: Der Körper sagt einem ganz genau, was Sache ist. Die Angststörung lässt mich nur manchmal an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln. Aber auch die Angst hat immer irgendwie mit irgendwas recht.
  • Beim Flur-Streichen höre ich einen Podcast über griechische Mythologie. Ich lerne, dass der Hirtengott Pan zwar kein besonders angesehener Kämpfer war. Sein Schrei jedoch ließ alle seine Gegner die Flucht ergreifen. Darin hat der Begriff Panik seinen Ursprung.
  • Mitte des Monats wird mir alles klar: Ich bin in meiner Half-Assed-Era! Alles, was ich tue, tue ich gerade irgendwie halbherzig. Ein schrecklicher Zustand. Ich fühle mich wie eine Schnecke; langsam und träge und ohne Elan. Wird Zeit, diese Era zu beenden!
  • Ich raffe mich auf und besuche eine Portrait-Zeichengruppe, die ich via Meetup.com gefunden habe. Erst dachte ich, das wird seltsam, weil ich ja niemanden kenne. Aber alle waren sehr nett und konzentriert und wollten zeichnen! Ich durfte als erster sitzen, 15 Minuten, und dann insgesamt sieben Portraits zeichnen. Das war toll! Dediziert Raum dafür haben, ganz genau hinsehen können, nichts erreichen müssen, einfach nur studieren und ausprobieren. Nach den ersten Blättern merkte ich, wie ich besser wurde.
  • Aus vielen Zweifeln wird so langsam – durch viele gute Gespräche – ein bisschen Orientierung.

 

Januar-Liste 2023

Collage mit Fotos aus dem Januar 2023

  • Seit langer Zeit mal wieder einen der Momente gehabt, in denen man schweigend nebeneinander im Auto sitzt und hofft, dass in den nächsten Minuten kein Streit ausbricht. (Hat funktioniert.)
  • Die 2. Staffel White Lotus: Das Internet ist ganz besessen davon, und sie zu gucken hat Spaß gemacht, aber sie kickt nicht mehr ganz so wie die erste Staffel. Ich denke darüber nach, warum alles immer fortgeführt und weitererzählt werden muss; warum ist alles seriell und nichts mehr kurz und gut und irgendwann vorbei?
  • “We’re too young to be this old, Ethan.”
  • Endlich ist mein Schlafzimmer grün! So richtig grün, nicht nur so zart grün, sondern richtig kräftig grün. Ich liebe es und der Plan, mutig mit Farbe umzugehen, geht auf.
  • Am Tisch neben uns im Restaurant bestellt jemand dieses Nudelgericht, in dem die Pasta in einem großen Laib Käse angezündet wird, und ich frage mich: Brauche ich mehr solche Action in meinem Leben?! (Die Antwort ist JA!)
  • »Schreibend halte ich mich am Leben und überlebe.« (Doris Dörrie)
  • Die alberne Mütze mit den Ohrenklappen zu kaufen war die richtige Entscheidung; sie macht gute Laune.
  • Der halbe Januar war dann trotzdem eine große Erkältung mit diesen fiesen Schmerzen im Oberkiefer, die einem das Denken unmöglich machen.
  • Mehrere Snippets aus Austin Kleons Motivation Corner geklaut. Zum Beispiel: “Lower your expectations” / “Artwork is work” / “Be as weird as you want to be” / “No whining”.
  • Unglaublich aber wahr: Die bestellte Halteverbotszone vor meiner Tür wurde eingerichtet, die Polizei kam und hat die Autos entfernen lassen, alles war ganz unkompliziert. Manche dieser Erwachsenen-Dinge stressen mich so extrem, dass ich gar nicht glauben kann, wenn sie einfach ganz unaufgeregt nach Plan funktionieren.
  • Seit Januar gibt es einen Hund (nicht für mich, aber so halb). Erst macht er mich nervös, aber mit der Zeit wird es besser. Wir freunden uns gerade noch an, aber ich entdecke viele neue schöne Seiten.
  • Ein bisschen Soft- und ein bisschen Deep Talk, und dazu Udon-Nudeln, so muss das sein.
  • »Die Dinge können nicht verschwinden, wenn man sie nicht ansieht
  • Nach meinem langen, ausschweifenden, verunsicherten Monolog sagt Norman am Telefon ganz nüchtern: »Na, dann weißt du ja, was zu tun ist.« Und recht hat er.
  • Nach 500 Tagen endet der Januar dann endlich. Geschafft!

Was man von hier aus sehen kann

Illustration eines Okapis

Über Weihnachten las ich Mariana Lekys aktuelles Buch »Kummer aller Art«, und wurde daran erinnert, was für eine tolle, behutsame Erzählerin sie ist. Ihren Roman »Was man von hier aus sehen kann«, der zuletzt verfilmt wurde, ist aktuell vom WDR als Hörspiel verfügbar. Ich habe es in den letzten Tagen immer zum Essen und Abspülen und Räumen gehört, und es war richtig schön, kurz Teil dieser Welt zu sein.

Hier gehts zum ARD Audiothek-Link, und hier der WDR Direkt-Link.

 

Dezember-Liste 2022

Collage von Fotos aus dem Dezember 2022

  • Dezember: Der Nickerchen-Monat. Mehrmals steht im Tagebuch einfach nur »Ich bin müde«. War ich auch: Umzug, überall ständig hin und her rennen, Dinge kaufen, Dinge streichen, Dinge umräumen. Aber alles auch sehr schön, so im Nachhinein. Also, sehr zielführend. Und das ist doch schonmal was.
  • Einmal täglich durch die neue Wohnung laufen und nicht ganz wahrhaben können, dass ich hier jetzt lebe. Es ist so eine Art Wohnung, die ich mir selbst nie erlauben würde: All diese Features, das haben doch sonst nur Leute, deren Leben man auf Instagram beneidet. Nicht Leute wie ich!
  • Die Müdigkeit hält an.
  • Seit langem mal wieder das sehr unbekannte Gefühl von Allein-sein verspürt. Und gemerkt, dass ich das Glück habe, dieses Gefühl sehr schnell beseitigen zu können.
  • Beim Umzug gemerkt: Eigentlich echt schön, wenn einem Leute helfen. Gleichzeitig ist mein Monatsfazit, dass ich mich immer noch extrem schwer damit tue, Hilfe anzunehmen, in allerlei Hinsicht.
  • Mitten im Dezember fällt mir, mitten in der Nacht, die Decke auf den Kopf: Doom Scrolling, Corona, Krieg, Klima, sämtlicher Mut verlässt mich. Zur Beruhigung schmiede ich einen Plan, um irgendwie damit klar zu kommen (Der Plan besteht aus einer Liste mit Punkten wie »Geld spenden« oder »Filmabend machen«, na ja).
  • Ich war bei einer Lesung, in der Bibliothek direkt bei mir um die Ecke. Mein Freund Paul Bokowski hat seinen ersten Roman »Schlesenburg« veröffentlicht.
  • Im Dezember: Viele Bauchgefühle.
  • Seit langem mal wieder einen Newsletter geschrieben. Das tat überraschend gut, warum mache ich das nicht viel öfter?! (Hier geht’s zur Anmeldung.)
  • Auf der Fahrt nach Österreich zieht die Welt an mir vorbei: Berge, Täler, Schnee, Gespräche. Ich will eine Woche nur noch schlafen, ein ganzes Jahr am liebsten; my year of rest and relaxation.
  • Silvester verbringe ich in Bad Gastein, stehe seit vielen Jahren mal wieder auf Skiern. Zumindest kurz. Ich kann es noch, merke ich, aber ich brauche das nicht. Die Fahrt macht Spaß, aber all das nervige Drumherum ist es einfach nicht wert.
  • Zum ersten Mal wird in den Nachrichten ernsthaft über den ausbleibenden Schnee in den Skigebieten berichtet; magere Pisten und grüne Hänge werden gezeigt. Den Leuten scheint es zu dämmern, aber ich weiß nicht, ob das reicht.
  • Zum Jahresende ist dann wirklich sehr doll die Luft raus. Es war insgesamt ein sehr positives Jahr für mich, aber es hat mich irgendwie extrem angestrengt. Die nächsten fünf Jahre darf von mir aus jetzt erst mal überhaupt nichts aufreibendes mehr passieren.

Strong Body Strong Soul

Selfie von mir vor dem Spiegel, in einem blassgelb gefliestem Badezmmer

Ich stehe in dem blassgelb gefliesten Badezimmer und mustere den nackten, mageren Köper, der mir missmutig und kritisch entgegen schaut. Die Haut wirkt fleckig und ungesund, was sicher zu einem Teil den gelben Fliesen, zum anderen Teil aber auch am Körper selbst liegt. Das filigrane Nervenkostüm schimmert durch die Haut; schlaff und rissig ist es nach den vergangenen Jahren. Kaum mehr Muskeln. Die Rippen zeichnen sind ab. Das soll sich alles ändern im neuen Jahr. Ich will wieder hot werden! Das Nächste Jahr ist für die Fassade da. Das wirkt dann ein, sage ich mir – Strong body, strong soul. Ich will zehn Kilo zunehmen, und möglichst viele dieser Momente vermeiden, in denen ich zu nervös bin um zu essen, mich zu beobachtet fühle für meine Routinen; ich will mich in 2023 vollkommen den Kilos zuwenden und gestählt und gestärkt daraus hervor gehen. So der Vorsatz. Der Rest kommt dann von ganz allein.