Dingtausch

Habe die neue Regel, dass für jedes Ding, das ich mit in meine Wohnung bringe, ein bereits vorhandenes Ding ähnlicher Größe weichen muss. Ausgenommen nur Lebensmittel. War eben in der Drogerie; die alte Cremetube wird durch eine neue ersetzt, geschenkt. Der Paketbote hat vorhin die Diskokugel gebracht, die ich bestellt hatte. Ich entscheide mich, sie gegen die Berge an Altglas einzutauschen, die sich in meiner Wohnung angesammelt haben, und halte das für einen guten Deal. Seit jeher bin ich Profi darin, mich selbst zu bescheißen.

Love is for the ones who love the work

Now I let it fall back in the grasses.
I hear you. I know this life is hard now.
I know your days are precious on this earth.
But what are you trying to be free of?
The living? The miraculous task of it?
Love is for the ones who love the work.

— Joseph Fasano, For a student who used AI to write a paper

April-Liste 2025

Collage vom April: München, ein riesiger Eierschneider, ein Spiegelei, ein Foto von der Terrasse, ein Aufzug-Selfie

  • Der erste richtige Frühlingsabend. Unten im Hof schlägt ein Kind unermüdlich zwei Metallschaufeln aufeinander. Auf das Dach des Altbaus gegenüber sind zwei Jugendliche geklettert, vielleicht für ein romantisches Date, vielleicht als Mutprobe. Sie blicken über die Dächer, wie ich, nur haarscharf weichen wir unseren Blicken aus. Ich habe keine Ahnung, wie die Margeriten auf meinem Balkon den Winter überlebt haben, aber die Blüten sind ganz neu, manche haben sich für die Nacht schon verschlossen. Die untergehende Sonne blitzt in den Metallprofilen der Dächer. Der Himmel ist ganz eben, kein Kondensationsstreifen und keine Wolke teilt ihn. Das Jahr liegt noch weit und offen vor uns.
  • Ich treffe E. und J. zum Kaffee. Wir kennen uns bisher nur über das Internet, aber ich folge ihren Arbeiten schon länger und frage ganz neugierig, wie und wann sie ihre Comics zeichnen und Fotos publizieren und wie sie das neben der Arbeit alles schaffen. »The key to being creative is being obsessive«, und damit hat E. wohl recht.
  • Was ich mir früher nie erlaubt und in diesem April exzessiv praktiziert habe: Draußen vor der Kneipe sitzen, etwas trinken und den Leuten zusehen. P. und ich reden so vor uns hin und tauschen unfertige Gedanken aus, und danach sind sie meistens klarer. Währenddessen laufen die Leute an uns vorbei und die Sonne blitzt noch einmal auf, und das ist doch wirklich das perfekte Leben.
  • Gabriel präsentiert sein neues Buch im Werkbundarchiv. Viele Leute sind da, einige kenne ich von ihren Profilbildern aus dem Internet, einige andere irgendwie aus der Berliner Design-Bubble. Es ist eine dieser Veranstaltungen, in denen ich sitze und merke: Ah, hier bin ich ganz richtig.
  • Seit Jahren mal wieder beim Balletttraining gewesen. K. hat mich überredet, und als ich ankomme, ist es, als hätte ich eine Zeitkapsel betreten: Alles ist noch wie 2017; dieser sonnige Berliner Hinterhof, die Musik, die Vorhänge, die Übungen an der Stange und die Mitte mit ihren Drehungen, bei denen ich nicht mitkomme. Und alle sind noch da, und freuen sich, und wieso war ich so lange nicht hier?!
  • Ein letztes Mal schwimmen in der Traglufthalle, bevor sie abgebaut und das Freibad im Mai eröffnet wird. Ich bin wehmütig und ziehe ein paar Bahnen mehr. Danach bin ich glücklich und erschöpft. Dieses Schwimmbad hat mich gut über den Winter gebracht: Für Berliner Verhältnisse ist es hier immer entspannt, mittags auch recht leer; es gibt genug Bahnen für alle und die Leute sind freundlich. Ich freue mich nur mittelmäßig auf die Freibad-Saison; Freibäder verbinde ich mit zu coolen Teenagern und Sonnenbrand. Aber vielleicht habe ich das ganz falsch abgespeichert. Im Mai geht es los.
  • I saw the future
    It was bright and beautiful
    None of us were there.

Sounds of Silence

Seit Jahren schläft Richard schlecht. Jede Nacht liegt er unter der gestärkten Bettdecke und malt sich bis ins kleinste Detail aus, wie jemand in sein Haus einbricht. Beim leisesten Knacken, Quietschen und Knarren schreckt er auf. Dann erstarrt er, und begibt sich in einen unaufhaltsamen Gedankenstrudel. Er malt sich aus, wie die fremde Person durch das Treppenhaus schleicht, die leisen Sohlen auf den Stufen. Richard sieht ihre Silhouette im Türrahmen stehen. Er weiß, dass er schon bei dem kleinen Geräusch vorhin die Flucht hätte ergreifen sollen, aber nun ist es zu spät, und er ist versteinert. Ein kleiner Lichtstrahl fällt vom Mond draußen ins Zimmer. Richard zeichnet gedanklich die Fluchtwege aus dem Haus auf, durchs Fenster auf das Vordach, aber er weiß, dass eine Flucht unmöglich wäre; niemals würde er sich und seine Frau überzeugen, das Geräusch ernst zu nehmen. Sie wären gefangen und müssten sich im Nahkampf dem bewaffneten Eindringling stellen. Sie hätten keine Chance. Sie würden beide sterben, und wenn sie nicht sterben würden, würden sie am Schock der Gräueltat zugrunde gehen. Richard würde sein Leben nicht mehr regeln können und das Paar würde alles verlieren. Das alles malt er sich aus, während er in einer Schockstarre und mit riesigen hochgestreckten Ohren im Bett liegt und auf das nächste, kleinste Geräusch wartet.

Frühlingsabend

Der erste richtige Frühlingsabend. Unten im Hof schlägt ein Kind unermüdlich zwei Metallschaufeln aufeinander. Auf das Dach des Altbaus gegenüber sind zwei Jugendliche geklettert, vielleicht für ein romantisches Date, vielleicht als Mutprobe. Sie blicken über die Dächer, wie ich, nur haarscharf weichen wir unseren Blicken aus. Ich habe keine Ahnung, wie die Margeriten auf meinem Balkon den Winter überlebt haben, aber die Blüten sind ganz neu, manche haben sich für die Nacht schon verschlossen. Die untergehende Sonne blitzt in den Metallprofilen der Dächer. Der Himmel ist ganz eben, kein Kondensationsstreifen und keine Wolke teilt ihn. Das Jahr liegt noch weit und offen vor uns.

Ich geh in Flammen auf

Foto der Band Rosenstolz, 2004
Foto: Wikimedia Commons / CC

Es ist Sommer 2004, und im Kino brennt mir der Film Sommersturm einen kleinen Sonnenbrand ins Bewusstsein. Als im Abspann der Song »Ich bin ich (Wir sind wir)« von Rosenstolz läuft, fühlen ich und viele andere uns einmal kurz nicht wie komplette Aliens. Im Sommer 2004 bin ich 13 Jahre alt.

Ich kenne viele Leute, die so einen Schlüsselmoment mit der Musik von Rosenstolz hatten, ganz egal aus welcher Generation, und egal, ob man deutsche Popmusik mag oder nicht. Rosenstolz war spätestens seit der Jahrtausendwende einfach da. Ich habe die Band kaum aktiv verfolgt oder gehört, kannte neben den einschlägigen Hits relativ wenige Songs, aber trotzdem war diese Band von Peter Plate und AnNa R. so verankert in der deutschen Musiklandschaft, dass dass sich wohl alle irgendwie darauf einigen konnten. Vielleicht, weil sie so einen merkwürdigen Spagat aus Pop und Schlager und Chanson hingekriegt haben, der sich durch alle Altersschichten erstrecken konnte.

Im März ist AnNa R. überraschend verstorben, und online wurden viele dieser Schlüsselmomente und Erinnerungen an ihre Musik geteilt. Ich habe auch nochmal viele Lieder gehört, auch mit Freunden zusammen, und war traurig und auch glücklich, dass Popmusik sich mal wieder als so verbindenderes Element bewiesen hat. Für mich ist vor allem »Ich geh in Flammen auf« ein wichtiges Lied. Beim Nachhören habe ich aber auch das erste Album »Soubrette werd ich nie« für mich entdeckt! Songs mit Titeln wie »Schlampenfieber« oder »Klaus-Trophobie«?! Genial! Das ganze Album klingt extrem nach seinem Erscheinungsjahr 1992, und es ist schön, sich nochmal durch die Jahre zu hören und zu fühlen und dabei ein paar traurige und dankbare YouTube-Kommentare zu lesen.

Manchmal sind die Dinge gar nicht so
Wie man sich’s vorgestellt hat
Sondern besser
Manchmal ist das Einzige was zählt
Dass ich nicht nachdenke
Sondern vergesse
Mach die Lichter an
Ich geh in Flammen auf