- An einem Samstag spaziere ich über einen Markt, einen richtigen, mit lokalem Gemüse und selbst gebackenem Brot und so. Die Verkäuferin am Käsestand sagt zu ihrer Kundin: »Also dieser hier ist wirklich extrem stinkig. Den würde ich nicht in der Wohnung haben wollen.«
- S. sagt: »Das einzige, was ich am Älterwerden wirklich schlimm finde, ist die Tatsache, dass ich immer mehr Freude am Leben habe. Je älter ich werde, desto lieber lebe ich. Eigentlich sollte es doch andersrum sein.«
- »I didn’t know what I was thinking, but now I know«, erzählt eine Kursteilnehmerin über ihre Erfahrung beim Automatic Writing.
- Die Autokorrektur meines Telefons korrigiert Filterbubbles zu Folterbänke, und da ist, wenn man um zwei Ecken denkt, ja wirklich was dran.
- Die amerikanische Künstlerin Korita Kent schreibt in ihren 10 Rules for Students, Teachers, and Life: »Rule Eight: Don’t try to create and analyze at the same time. They’re different processes.«
- Ich verbringe ein paar schöne Tage im Harz. Wir marschieren inmitten vieler agiler Berghexen den Brocken nach oben (bzw. vor allem nach unten). Das Problem am Wandern für mich ist, dass ich mich so sehr auf die Wege und die Steine und die Umwelt konzentrieren muss, dass ich nicht ins Nachdenken komme. Also mal nicht nachdenken; eigentlich auch ganz gut.
- Ich fühle mich als hätte ich einen geheimen Code bzgl. meiner Essensproblematik gelöst. Plötzlich klappt es. Ich kann in Gesellschaft frühstücken und danach losgehen und brauche keine langen Pausen mehr, und unterwegs habe ich eine komplette Bratwurst mit Bratkartoffeln gegessen, ohne dass mit übel wurde. Ich denke einfach daran dass ich einen großen starken Körper haben möchte, und dass ich dafür eben essen muss. Simple things! Small steps!
- Erschöpft vom Tag liege ich nur in Unterwäsche auf dem Hotelbett. Die Luft ist warm und träge, der Himmel wolkenverhangen, ein Licht auf dem Nachtisch ist an. Durch das offene Fenster höre ich jemanden, der langsame, einsame Melodien auf dem Saxophon spielt. Ein paar Kinder spielen auf dem Rathausplatz, sonst passiert nichts.
- Im Hotel liegt jeden Morgen ein Faltblatt mit Wetter, Spruch und Ausflugstipp auf dem Frühstückstisch. Außerdem ein Rätsel: »Ich habe fünf Finger, aber ich lebe nicht. Was bin ich?«
- Auf dem Heimweg sprechen mich zwei junge Mädchen an. »Hast du einen Euro?« Nein, kein Kleingeld, tut mir leid. »Hast du einen Cent?“ Nein, sorry. Vermutlich war das gelogen. Dann fragen sie: »Bist du arm?!« Zugegeben, das war entwaffnend.
- Hab viereckige Augen vom ins-Handy-gucken. Unsere Eltern hatten recht! Zum Ausgleich liege ich spätabends lange auf der Terrasse und schaue in die Sterne, und meine Augen formen sich langsam zurück.
- Barbie was everything, Oppenheimer was just … na ja.
- Vor A.s Café ist ein Auto abgebrannt. Es war wohl ein Kabelbrand, aber die Straße sieht aus wie nach einem Attentat. Der Baum über dem Parkplatz ist verkohlt, und die Scheibe zum Café ist wegen der Hitze geplatzt. Die Markise ist nur leicht verkohlt, es war alles ein großes Glück im Unglück.
- »Etwas von der Zeit retten, in der man nie wieder sein wird«; endlich Annie Ernaux’ Buch Die Jahre fertig gelesen, großartig.
Futuro
Futuro by Matti Suuronen
in front of Pinakothek der Moderne / Munich.
Juli-Liste 2023
- Jemand im See schreit »Meine Unterhoseeeee!« Ein Junge liegt am Ufer und baut verträumt kleine Sandtürme. Sein Golden Retriever sieht ihm dabei zu. Die beiden vergessen den Lärm um sie herum.
- Ich treffe N., sie ist sehr schwanger und wir bewegen uns gemeinsam sehr langsam durch die Straßen, und läuten damit quasi auch die Geschwindigkeit des Wochenendes ein.
- Liegen ist alles.
- Szechuan Nudeln; Wie man fünf Eier verpackt; Jelly Dessert. Im asiatischen Supermarkt habe ich diese runden Kekse entdeckt, die süß aussehen, aber mehr scharf als süß schmecken. Eine Erwachsenenversion des Glückskeks quasi; bittersüß und ohne den verklärten Spruch.
- Wir probieren den Paw Patrol Filter auf TikTok, der uns in Anime-Charaktere verwandeln soll, mit dem Hund. Aber anstatt Gisi wird Andrea zum Hund. Im Internet ist noch alles möglich; on the internet nobody knows you’re a dog.
- Christopher Street Day. Der attraktive Typ, oberkörperfrei, der vermutlich schon auf einem anderen mentalen Layer unterwegs ist, grinst mich an, lacht laut und fährt im Vorbeigehen mit dem Gesicht über meinen Rücken. Hat der gerade seine Nase an meinem Shirt abgeputzt?!
- Sich sicher und angekommen fühlen in dem, was man hat: die Wohnung, die Beziehung, die Arbeit. Und dann zwischendurch immer wieder dran erinnert werden, dass man etwas verpasst, nicht genug lebt, zu bequem ist. »Life is short«, lese ich in einer Eventbeschreibung. Uff.
- Die Reminder im Kalender, im Telefon, im Notizheft; sie bringen nichts, mein Hirn ist ein Sieb.
- Montag, 31. Juli 2023. Ich: »I guess I live in my own little world.« Evey: »Well, that’s ok. It’s a quality world.«
Annie Ernaux über das Fernsehen
Ich lese gerade Annie Ernaux’ »Die Jahre«; das war gerade in der Bibliothek gerade da und ich habe noch nie vorher einen längeren Text von ihr gelesen. Im Buch beschreibt sie autobiografisch das letzte Jahrhundert in Frankreich; von der Nachkriegsgeneration durch die Pubertät bis ins Eigenheim und zu den Fluchtgedanken aus dem goldenen Käfig heraus (weiter bin ich noch nicht). Akribisch beobachtend hält sie Zeit- und Kulturphänomene und die zugehörigen Gefühle fest, und das ist es, was mich auch immer ein bisschen sticht beim Lesen: In ihrer Beobachtungsgabe finde ich mich wieder, ich kenne das alles, aber aufschreiben kann ich es nicht. Wie macht sie das?!
Jedenfalls habe ich diese Passage übers Fernsehen angestrichen, weil sie gleichzeitig allgemein und präzise ist. So ein Absatz über Computer oder das Internet; den will ich schreiben (oder er kommt noch im Buch, mal sehen).
Das Fernsehen zeichnete jeden Tag und ohne erkennbare Ordnung alles auf, was in der Welt geschah. Ein neues Gedächtnis entstand. Aus dem Magma der Bilder, die man sah, gleich wieder vergaß und ohne Worte abspeicherte, stiegen nur die besten Werbespots, die schönsten und bekanntesten Gesichter, die heftigsten und brutalsten Szenen an die Oberfläche – und schoben sich übereinander, bis man meinte, Jean Seberg und Aldo Moro hätten tot im Kofferraum ein und desselben Autos gelegen.
1 Jahr Gisela
Neon
Jeden Abend tritt der Mann gegenüber auf seinen Balkon. Er fotografiert den Sonnenuntergang. Immer dann, wenn er Himmel kurz rosa aufleuchtet und die schrägen Schatten die Dächer überziehen, kommt er kurz raus und hält er sein Telefon in die Luft.
Eigentlich hat dieser Mann überhaupt kein Gefühl für Licht und Stimmung. Jeden Abend, bis in die Nacht, ist seine Wohnung in einem grellen, kalt-weißen Neonlicht erleuchtet. Es prallt gegen die kargen Zimmerwände und gerüschten Polyestervorhänge. Aber gegen 21 oder 22 Uhr, wenn die Sommersonne im Westen untergeht, steht er auf dem Balkon und fotografiert den rosafarbenden Himmel mit seiner Handykamera. Zumindest in seiner Fotosammlung, oder in seinem WhatsApp Status, oder in seiner Vorstellung herrscht romantische Lichtstimmung.
Vielleicht reicht ihm das.
Young men
Thoughts
ought to be
reliable allies
winning over
to feelings and
melancholy
This summer
the people were fun
jovial cheering to enjoyment
Young men do a shot
record a message
“I don’t want to”