November-Liste 2023

Collage aus Fotos vom November 2023

  • November: Müde und rastlos und immer viel zu lange wach. 22.22 Uhr ist deshalb so eine magische Zeit, weil der Tag ab da beginnt, sich aufzulösen. Die einen gehen ins Bett, die anderen gehen raus, und ich hatte im November ab da dann oft einen guten Arbeitsschub.
  • Ich beschwere mich bei einer Freundin, dass ich immer noch nicht wüsste, was genau ich zu erzählen hätte. »Aber so oder so erzählst du doch schon«, sagt sie.
  • »You are a very sensible person; I notice that you notice more things than others.« Wenn eine Person, die dich noch kaum kennt, so etwas zu dir und über dich sagt – ist das gut oder schlecht?
  • Ich sitze mit meinen Eltern vor dem Fernseher, wie schauen eine Doku über Evelyn Hamann und Loriot. Mein Vater kommentiert ihre Zusammenarbeit: »Wenn die Arbeit Spaß macht, kommt meist was Gutes dabei heraus. So viel zum Thema Künstliche Intelligenz.“ Es steckt wenig Freude in KI.
  • Eine Freundin zeigt mir Fotos von ihren Tauchgängen, Wal-Sichtungen und nordischen Polarnächten. »Dieser Ort wäre perfekt für dich. Ganz leise da.« Es klingt so schön, vielleicht darf ich mich der Welt nicht so verschließen.
  • Ich verbringe einen inspirierenden Abend mit Freunden und ihren Freunden. Sie erzählen von ihrer Arbeit, alle sind sehr geschäftig. Wie machen die Leute das? So viel so gut hinkriegen? Als hätten ihre Tage 48 Stunden, an denen sie über Kontinente jetten und an tausend Projekten zeitgleich arbeiten können. Hätte mein Tag 48 Stunden; ich würde komplett durchdrehen. 24 sind mir schon zu krass!
  • Ich schaue vom Treppenhaus auf die Straße. Zwischen den Autos landet ein Adler und blickt hektisch um sich. Beim genauerem Hinsehen merke ich, dass er auf einer Taube sitzt – er hadert, wie er sie am besten erlegen soll. Die Ampel schaltet auf grün, die Autos fahren los, beide Vögel fliegen verstört davon.
  • Seit Ewigkeiten mal wieder auf einem Konzert gewesen (Hannah Diamond, im Lido). Es war kurzweilig und schön und vielleicht sind Konzerte wirklich genau mein Ding – ich besuche sie nur viel zu selten.
  • »Also, ein Stein kann ja weder lebendig noch tot sein. Na ja. Außer du, du bist ein lebender toter Stein«, wird mir gesagt, als wir über die Frage sprechen, ob es eine Bewusstseinsalternative zu Lebendigkeit gibt.
  • Im KaDeWe vor dem Aufzug treffe ich L. Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen und sind im Streit auseinandergegangen. Wir starren uns an, voller Entsetzen, und umarmen uns ungelenk zur Begrüßung. Nach kaum mehr als zwei Minuten Fahrstuhlsmalltalk ist es wieder vorbei.

022023: Manifestations of Romance

Me standing in a colorful room, taking my photo in the mirror, camera in front of my face

Berlin, 6:25 pm, new note: I am typing this in iA Writer’s “focus mode”, a tool that highlights only the very current section that is being edited. I never use it because focus, what even is that?! Haven’t heard from her in years. And you, dear reader, haven’t heard from me and this letter in months, either, so: Welcome back.

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Some smaller towns in Italy have so-called “Necrologi.” Big analog boards in the center of the town, or at relevant pedestrian crossings, that originally announced the passing of a parishioner. When walking through the cities around Amalfi coast this summer, I saw them. Posters informed passers-by about recent deaths, yes, but also about upcoming celebrations, concerts and the town’s goings-on. They were not advertisement billboards; they were very local, specific platforms for communities to share events of interest.

The famous Parisian bookshop Shakespeare and Company has been cultivating a wall of analog notifications for ages. On little paper notes, people share messages, stories, call-outs for other visitors to dig through and find each other. True love may or may not be found in those layers and layers of paper, but the board itself is a manifestation of romance that visitors long for. Paper as a real connection to a stranger.

And also: Do you remember BVG Augenblicke? Berlins public transport system, BVG, used to have a digital platform where people who shared a moment on the train—a smile, a gaze, a brief conversation with a stranger—could find each other again. Oftentimes, secondary romance is to be avoided (as it turns out less exciting as expected), but having the tools—both digital and analog—to give it a chance; it was magic. Technology was magic!

As a true millennial, I stopped believing in digital tools as true connectors for a while now. But I don’t mind it too much. I’m just over it, really. Like Jason Parham writes in his essay on wired.com: “It’s not that I consider myself too old for social media, or the pace and attention it requires. I’m just less interested in being everywhere these days.” Same, really. I still enjoy posting to my Instagram story from time to time or write a blog post when I have something to share or need to feel productive. It’s ok to realize that the magic has vanished. Maybe it’s to be found offline, on public notice boards and in book shops and on train rides and through the people I already know. Or within a little community of readers and friends like you—thanks for sticking around!

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The last issue of this newsletter was sent in May. Summer passed, the world still spins, sometimes and recently so furiously that it has been hard to manage. I hope you do, somehow.

One of my coping strategies: I keep writing my monthly lists. They keep up the feeling of being creative, or at least productive; it’s some output that comes around every month. If you’re interested in what’s happened during my summer, find some notes from June, or September, or simply scroll through this blog. I’m planning on sending them out as a separate newsletter in the future because who visits weblogs these days, really. I’ll keep this letter as an English format, though.

How was your summer? Where are you right now? I’d love to hear from you: What’s been keeping you spinning? I hope you’re well!

(If you enjoy content like this: I send it out as an irregular newsletter called Christel’s CornerSign up for it here.)

Oktober-Liste 2023

Collage für Oktober 2023

  • Ich nutze die Herbstsonne und mache einen Spaziergang zur Bibliothek. Die Straßen sind ruhig, jemand sonnt sich auf den Bänken, eine Mutter sammelt mit ihrem Sohn Kastanien. Kurz vor dem Rückgabeautomat der Bibliothek fällt neben mir ein kleiner Spatz vom Himmel. Er ist sofort tot.
  • Der Ticket-Kontrolleur an der Fähre schaut uns prüfend an. Ob wir zusammen seien, fragt er auf italienisch. Er schmunzelt und genießt seine Macht wie ein Türsteher. Warum müssen wir uns das fragen lassen? Einem heterosexuellen Paar wäre das in keiner Konstellation passiert.
  • Ein letztes Mal im Meer baden. Es fühlt sich schön an. So weich und ruhig. Ich bin fast ganz alleine im Wasser. Es ist abwechselt warm und kalt und ich will nicht, dass der Moment aufhört.
  • Ich lese darüber, wie man Balkonpflanzen am besten überwintert. Man wickelt sie in Polsterfolie und Jute ein, und stellt sie ins Treppenhaus. Solche Probleme hatte ich vorher nie; ich mache sie mir am letzten warmen Herbsttag zu eigen, und genieße sie.
  • Jan ist in der Stadt, ich bin zum Abendbrot eingeladen. Nach dem Essen spiele ich mit seinem Sohn, wir hören Tabaluga und Sesamstraße auf der Toniebox und ich kaufe in seinem Einkaufsladen ein. Gegen 21 Uhr muss er ins Bett; er will nicht. Ich denke: Was würde ich dafür geben – um 21 Uhr ins Bett gebracht und zugedeckt werden, und den Tag und den Trubel beendet bekommen.
  • Manchmal blättere ich abends im Blog, stolpere über alte Texte und Links. Seit zwei Jahren habe ich nichts wirklich substanzielles mehr produziert, zumindest fühlt es sich so an.
  • Ich lese in einem Roman über die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, und stelle fest, dass ich meine Eltern nie so richtig nach ihrem Leben gefragt habe. Das macht man irgendwie nicht, in der Kinderrolle. Nehme mir vor, das nachzuholen.
  • Manchmal fühlt es sich hier ein bisschen einsam an. Also nie schlimm, aber so im großen Ganzen. Ich glaube, es liegt an der Stadt. Daran, dass hier alle immer so weit weg sind, und so sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich ja auch.
  • Ansonsten im Oktober: Zwei Erkältungen ausgeschnäuzt, 5000 Liter Ingwertee getrunken, eine Teamwoche gehabt, einen riesigen Schokokuchen gebacken, ein winzig kleines Baby im Arm gehalten.

Twister

Ich und Nadine beim Twister spielen

2022. Nadine und ich spielen Twister.

September-Liste 2023

Collage mit Fotos aus dem September 2023

  • Am Nordbahnhof tritt ein junger Mann auf die Straße und übergibt sich mehrfach und leidvoll. Ich warte eine Weile und frage ihn, ob er etwas brauche. Er bittet um ein Taschentuch, ich gebe ihm eine Packung. Diese von Ekel erfüllte Distanz zwischen uns bei der Übergabe war eigentlich gar keine Absicht; ich glaube, sie ging unterbewusst von uns beiden aus.
  • Mehrere spätsommerliche Abende verbringe ich am Laptop, mit kleinen Nebenprojekten wie der Neuauflage vom Besten Witz, oder dem Lernen eines Website-Frameworks. Ich genieße die Stille und den Fokus, in den mich die Arbeit zieht.
  • »Im not messy, I’m busy!«, sagt Frances Ha, als sie ihr unordentliches Zimmer vor ihrem Gast rechtfertigt. Nach Jahren schaue ich den Film von Greta Gerwig ein zweites Mal. Ich bin zu alt dafür geworden, aber einige Szenen berühren mich trotzdem noch.
  • War zum ersten Mal bouldern. Hate to say it, aber es hat wirklich Spaß gemacht. Nachdem in den ersten zehn Minuten alle meine Vorurteile bestätigt wurden (merkwürdig unscheinbares Publikum, belehrende Typen, strenger Geruch), konnte ich mich drauf einlassen, und werde es vermutlich wieder tun!
  • Ich gehe mit P. zur Lesung einer Autorin, die gerade ihren ersten Roman veröffentlicht hat. Wir reden über junge Autor·innen, die oft über Twitter oder Instagram berühmt, dann von Verlagen zu einem Bildungsroman verpflichtet werden, und so für immer dieses Label tragen.
  • Urlaub in Italien. Auf den ersten, flüchtigen Blick ist Neapel ziemlich schmutzig. Auf den zweiten auch. Aber die Pizza ist wirklich gut! In den Cafés läuft Neomelodico Napoletano; neapolitanische Balladen. Die Menschen hier können sich nicht entscheiden zwischen dem Fußballgott Maradona und Jesus, und beten deshalb beide an.
  • Pompeji. Auf einem erhaltenen Fresko reitet ein kleiner pummeliger Junge auf einer Krabbe. Absurd, dass diese über 2000 Jahre alten Wandmalereien erhalten sind. Ein Archäologe erklärt, dass die großen Löcher im Putz daher kämen, dass Menschen die Fresken gestohlen und verkauft hätten.
  • Kurz nachdem wir Neapel verlassen und auf die nächste Insel fahren, lese ich über die phlegräischen Felder. In der kommenden Nacht wird Neapel von einem Erdbeben erschüttert. Einige Zeitungen titeln, die Leute seien schreiend auf die Straße gerannt. Ich muss mich anstrengen, Ruhe zu bewahren, und komme mir dumm vor. Einerseits, hierhin zu reisen, zu der Zeit, in der Expert·innen Unruhen vermelden. Anderseits, weil ich so unentspannt bin, und mich dem Studel der Panik hingebe.
  • Ich esse ein Babà; ein in Rum eingelegtes Gebäck. Ich traue mich kaum. Alkohol ist für mich seit jeher etwas Verbotenes; es darf mir nicht schmecken. Ich brauche lange, um mir einzugestehen, dass es mir aber doch ganz gut geschmeckt hat. Immer wieder stolpere ich über Denkmuster aus meiner Kindheit und Jugend, die es zu verlernen oder neu zu lernen gilt.
  • Ich stehe auf dem Balkon der Ferienwohnung. Auf dem kleinen Insel-Ausläufer, auf dem die Festung steht, dreht sich das Licht eines Leuchtturms. Darüber hängt der Mond. Unten in der Stadt singt ein Pianobar Popsongs; ein Auto fährt den Hügel hoch. Am Horizont funkelt die Küste, und Neapel, und den Vesuv hat die Dunkelheit schon verschluckt.
  • Es ist neun Uhr morgens, ich lese am Strand im Schatten einer Pergola. Neben mir setzen sich vereinzelt immer wieder alte italienische Männer; Nonni. Sie haben dunkle, schrumpelige Haut, vom Rauchen oder von der Sonne, vermutlich von beidem; es geht ihnen gut.
  • Abends an der Strandpromenade. Ich starre eine ältere Frau mehrere Sekunden lang an, weil ich mir sicher bin, wirklich sicher!, dass sie eine dieser Spaßbrillen mit angehefteter Kunststoffnase trägt.

August-Liste 2023

Collage mit Fotos aus dem August 2023

  • An einem Samstag spaziere ich über einen Markt, einen richtigen, mit lokalem Gemüse und selbst gebackenem Brot und so. Die Verkäuferin am Käsestand sagt zu ihrer Kundin: »Also dieser hier ist wirklich extrem stinkig. Den würde ich nicht in der Wohnung haben wollen.«
  • S. sagt: »Das einzige, was ich am Älterwerden wirklich schlimm finde, ist die Tatsache, dass ich immer mehr Freude am Leben habe. Je älter ich werde, desto lieber lebe ich. Eigentlich sollte es doch andersrum sein.«
  • »I didn’t know what I was thinking, but now I know«, erzählt eine Kursteilnehmerin über ihre Erfahrung beim Automatic Writing.
  • Die Autokorrektur meines Telefons korrigiert Filterbubbles zu Folterbänke, und da ist, wenn man um zwei Ecken denkt, ja wirklich was dran.
  • Die amerikanische Künstlerin Korita Kent schreibt in ihren 10 Rules for Students, Teachers, and Life: »Rule Eight: Don’t try to create and analyze at the same time. They’re different processes.«
  • Ich verbringe ein paar schöne Tage im Harz. Wir marschieren inmitten vieler agiler Berghexen den Brocken nach oben (bzw. vor allem nach unten). Das Problem am Wandern für mich ist, dass ich mich so sehr auf die Wege und die Steine und die Umwelt konzentrieren muss, dass ich nicht ins Nachdenken komme. Also mal nicht nachdenken; eigentlich auch ganz gut.
  • Ich fühle mich als hätte ich einen geheimen Code bzgl. meiner Essensproblematik gelöst. Plötzlich klappt es. Ich kann in Gesellschaft frühstücken und danach losgehen und brauche keine langen Pausen mehr, und unterwegs habe ich eine komplette Bratwurst mit Bratkartoffeln gegessen, ohne dass mit übel wurde. Ich denke einfach daran dass ich einen großen starken Körper haben möchte, und dass ich dafür eben essen muss. Simple things! Small steps!
  • Erschöpft vom Tag liege ich nur in Unterwäsche auf dem Hotelbett. Die Luft ist warm und träge, der Himmel wolkenverhangen, ein Licht auf dem Nachtisch ist an. Durch das offene Fenster höre ich jemanden, der langsame, einsame Melodien auf dem Saxophon spielt. Ein paar Kinder spielen auf dem Rathausplatz, sonst passiert nichts.
  • Im Hotel liegt jeden Morgen ein Faltblatt mit Wetter, Spruch und Ausflugstipp auf dem Frühstückstisch. Außerdem ein Rätsel: »Ich habe fünf Finger, aber ich lebe nicht. Was bin ich?«
  • Auf dem Heimweg sprechen mich zwei junge Mädchen an. »Hast du einen Euro?« Nein, kein Kleingeld, tut mir leid. »Hast du einen Cent?“ Nein, sorry. Vermutlich war das gelogen. Dann fragen sie: »Bist du arm?!« Zugegeben, das war entwaffnend.
  • Hab viereckige Augen vom ins-Handy-gucken. Unsere Eltern hatten recht! Zum Ausgleich liege ich spätabends lange auf der Terrasse und schaue in die Sterne, und meine Augen formen sich langsam zurück.
  • Barbie was everything, Oppenheimer was just … na ja.
  • Vor A.s Café ist ein Auto abgebrannt. Es war wohl ein Kabelbrand, aber die Straße sieht aus wie nach einem Attentat. Der Baum über dem Parkplatz ist verkohlt, und die Scheibe zum Café ist wegen der Hitze geplatzt. Die Markise ist nur leicht verkohlt, es war alles ein großes Glück im Unglück.
  • »Etwas von der Zeit retten, in der man nie wieder sein wird«; endlich Annie Ernaux’ Buch Die Jahre fertig gelesen, großartig.

Futuro

UFO-like house; a white capsule with round windows, with small people in front of it

Futuro by Matti Suuronen
in front of Pinakothek der Moderne / Munich.