Kurze / Januar 2015

Auf der Rolltreppe steht ein junges Pärchen, und als ich mich auf den Weg nach oben mache, starrt die Frau mich lange an; ist kurz davor, ihrem Partner etwas zuzuflüstern. Ich kann mich nicht entscheiden zwischen angrinsen und beschämt wegsehen.

Einer der fünf Jungs lehnt immer am Gitter des Sportplatzes, mit scheuem Blick der Welt da draußen zugewandt, und wenn ich Abends mit dem Rad am an ihm vorüber fahre, streichen seine Finger ganz langsam von Gitterstab zu Gitterstab, und dann bin ich schon an ihm vorbei.

Da ist ein Entsetzen in Michaels Blick, als er das Feuerzeug auf meinem Schreibtisch sieht; rauchst du jetzt etwa auch, fragt er.

Woher die Leute ihre Geduld nehmen für die Verschlafenheit der Katertage, die sie nach ihren vielen Gin Tonics erwartet, frage ich mich manchmal, aber nicht zu sehr, denn ich gönne es ihnen, genau wie ich euch eure Zigaretten gönne und eure Autos und

Eines nachts höre ich es: ein Flüstern im Hausflur, Treppensteigen. Das türkische Mädchen, das über mir wohnt, ruft sanft den Namen ihrer Katze. Tzschiep tzschiep tzschiep. Ich kenne nun einen türkischen Katzennamen, und auch die Ursache des beißenden Geruchs im Treppenhaus.

Der Indikator für einen schlechten Tagesstart ist der Moment, in dem man die Creme auf den Handflächen verteilt, die Hände Richtung Gesicht führt und dann mit richtig viel Kraft das Gesicht einbalsamiert, ohne vorher die Brille abgenommen zu haben.

The Future

I don’t know anything, I’m just a rock in the sky (The Future, Miranda July, 2011)

Kennt ihr das auch?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal eine Pause von euren Freunden braucht; die einfach nicht sehen wollt, weil ein blöder Satz gefallen ist oder ihr euch drei Tage am Stück auf der Pelle gesessen habt?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal von der Arbeit nach Hause kommt und auf dem Badezimmerteppich zusammen sinkt, weil man im Bad seine Ruhe hat, weil da keiner ist und weil es niemanden etwas angeht, wie lange man dort bleibt?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal hinter Menschen her lauft, weil euch deren Geruch an eine Person erinnert, die ihr mal geliebt habt, oder an ein Haustier, das es nicht mehr gibt? Und ihr lauft dann mehrere duzend Meter mit, weil die Erinnerung so gut tut?

Kennt ihr das auch,
dass ihr manchmal so brennend an der Meinung anderer zu einem Thema interessiert seid, dass ich während der Diskussion kein einziges Wort sagt, bis irgendwann die Stimmung kippt, und ihr gar kein Wort mehr zum Thema sagen wollt?

Kennt ihr das auch,
dass ihr wochenlang auf einen Moment hin fiebert; ein Treffen ein Gespräch das Ende eines Wartens, und dann, wenn alles geschafft ist und ihr angekommen seid, wünscht ihr euch so weit wie nur irgendwie möglich entfernt vom Hier und Jetzt?

Zum Ende des Kapitalismus

Wir sitzen spätabends im Schnellrestaurant, und mein guter Freund S. erzählt mir vom Ende des Kapitalismus. Es gäbe zwei Möglichkeiten, sagt er: Mit der einen bricht der Kapitalismus entzwei und alles Geld wird wertlos. Mit der anderen explodiert die Wissenschaft – so in zehn, zwölf Jahren – und knackt den Schlüssel zur künstlichen Intelligenz. Binnen kürzester Zeit werden sämtliche Arbeitskräfte (er wirft einen Blick auf die McDonalds-Mitarbeiter hinter uns) durch Maschinen ersetzt. Alle Arbeit des Alltags wird von Robotern übernommen: die Verkäufer, die Kassierer, die Banker, die Fahrer der U-Bahnen.

In beiden Fällen, sagt S., ist er der Gewinner: Zerbricht der Kapitalismus, verschwindet auch sein Minus auf dem Konto – ein Problem verpufft zu Rauch. Und mit dem Einzug der künstlichen Intelligenz werden wir die Einzigen sein, die die Welt noch braucht; die Kreativen, Intuitiven, deren Schaffen noch nicht durch Mathematik zu bezwingen ist.

Im November

Was mir nicht zusagt, ist die Tatsache, dass die Tage einfach so verstreichen; wenn ich im Halbdunklen aufstehe, mich aus dem Bett ins Büro schäle und hier bin, bis irgendwann zum Nachmittagskaffee das Licht draußen wieder verschwindet. Dann ist aus Anfang plötzlich Ende November geworden, ohne dass etwas geschehen ist – oder zumindest ohne, dass ich es als Geschehenes wahrgenommen hätte.

Leseliste / November 2014

Wie bereits beschrieben gibt es für mich kaum etwas besseres als Sofasonntage. An den vergangenen Wochenenden habe ich die intensiv genutzt, um mich durch ein bisschen Papier und Text zu wühlen. Hier ist eine kleine Auswahl.

Peter Licht – Lob der Realität

Seit ich im zarten Alter von 14 Jahren Peter Lichts Song »Wettentspannen« auf einer nächtlichen Autofahrt im Radio hörte, ist er und sein Schaffen ein wichtiger Begleiter dieses Blogs. Mit Peter Lichts neuem Buch »Lob der Realität« knüpft er an seinen 2006 erschienen Gedichtband »Wir werden siegen« an – mit Lyrikfragmenten, Zeichnungen, Dialogen und Geschichten. Eine wunderbare Sammlung, in die man sowohl eintauchen, als auch nur mal kurz erfrischend den Kopf hineinhalten kann. Viel besser in Worte gefasst hat das aber Christopher Schmidt in der Süddeutschen Zeitung.

Lena Dunham – Not That Kind of Girl

Ich muss gestehen: »Girls« war eine anstrengende Fernsehserie, und auch sonst finde ich Lena Dunham nur bis zu einem gewissen Grad interessant. Vielleicht, weil mir ihre Verkörperung der weiblichen Imperfektion zu perfekt ist, vielleicht auch einfach, weil ich ein Junge bin. Gerade deshalb aber interessiert mich ihr Roman, immer unterlegt mit der Frage, ob und wie man ein solches Buch unter dem Titel »Not That Kind of Boy« füllen könnte. Außerdem muss noch ein weiteres Geständnis gemacht werden: Ich habe das Buch zu mindestens 50 Prozent wegen der Umschlaggestaltung gekauft. Auf Fonts In Use beschreibt Stephen Coles, warum das Design und vor allem die gewählte Schrift Toledo funktioniert.

Leif Randt – Schimmernder Dunst über Coby County

Drei Jahre zu spät stoße ich dank einer Kollegin auf Leif Randt und sein Buch »Schimmernder Dunst über Coby County«, das, wenn wir ehrlich sind, nicht gerade durch seinen verträumten Titel besticht (eher im Gegenteil). Dennoch hat es mich gefesselt und meine Lust auf junge deutsche Literatur erneuert. Leif Randt kommt mit einer Schar von Autoren aus dem Studium in Hildesheim (der Ort, an dem auch die Bella Triste geboren wurde, und der sowieso die Brutstätte junger guter Texte zu sein scheint), und erzählt in seinem Roman auf seichte, lakonische und irgendwie aufreibende Weise von einer Utopie, in der alles perfekt scheint, und gerade deshalb nervös macht. Genauer erläutern konnte das Lena Bopp in der FAZ.

Matthias Stolz: Die Besserbürger

Im ZEIT Magazin erzählt Matthias Stolz über seine Beobachtungen der Ästhetisierung des Alltags; davon, wie wir die minimalsten Dreh- und Angelpunkte unseres Lebens in formschöner Vollendung sehen müssen; wie sich Statussymbole verändern, und dadurch auch unser Wertesystem. Mich hat es nicht gewundert, dass dieser Text so oft von Freunden und Bekannten geteilt wurde – in meinem sozialen Kreis scheint diese Alltagsästhetisierung ein großes Thema und gewissermaßen auch ein Problem zu sein (dem sich aber alle hingeben wollen). Auch witzig: Die Bebilderung des Textes übernahm das Berliner Studio Haw-lin Services (der Inbegriff des Themas, wie man im Freunde von Freunden-Interview beobachten kann).

Matthias Stolz: Die Besserbürger (ZEIT Magazin Nr. 39/2014; 18. September 2014)

Süddeutsche Zeitung am Wochenende

Mitte Oktober erschien die erste Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung am Wochenende«. Der Sinn und Zweck danach ist logisch: Wer hat schon unter der Woche Zeit, jeden Tag eine Zeitung zu durchstöbern? Sich stattdessen am Wochenende ein oder zwei Vormittage mit Kaffee, Sonnenlicht und Texten zu gönnen, die ausnahmsweise mal nicht digital daherkommen, scheint stimmiger. Das habe ich dieses Wochenende gemacht und für gut befunden: Eine schöne Mischung aus Hintergrund, Kurzformat und starken Stimmen geben der SZ ihre Daseinsberechtigung.

Hallo ich bin Erik

Und zum Schluss, natürlich: Eriks visuelle Biografie. Im August ist sie erschienen und mittlerweile auch auf meinem Schreibtisch gelandet. Johannes Erler hat auf 320 Seiten ein wirklich detailliertes und umfangreiches Werk aus Spiekermanns Schaffen zusammengestellt, das Eriks Persönlichkeit und seine Arbeit durch wunderbare Fotos, Kommentare, Stimmen und Stimmungen erzählt. Nadine Roßa erklärt auf Design Made in Germany, warum dieses Buch (nicht nur für Kommunikationsdesigner) besitzenswert ist.