Sächselnde Schweiz 2: Ausblick

watercolor drawing of rocks

Ich merke beim Wandern schnell: Wichtiger als das Ziel und die Aussicht ist der Weg dahin. Bei dem Gedanken tadle ich mich ob seiner Schlichtheit, aber man merkt beim Laufen am eigenen Körper, dass es wahr ist. Aussichten sind doch uninteressant: Man kann nicht nah an die Dinge ran, und der kurze Rausch der Erhabenheit, des Überblicks, ebbt so schnell ab: Mehr als Stehen und Schauen geht eh nicht. Ich erinnere mich an »Das größere Wunder« von Glavinic; ich habe schon wieder komplett vergessen, ob der Protagonist die Spitze des Mount Everest am Ende erreicht hat; darum ging es ja gar nicht. An seinen Weg erinnere ich mich; an jede einzelne Seite.

Wandern ist etwas für Macher. Eine Ertüchtigung für Kreative. Es ist produktiv und erschöpfend. Vermutlich deshalb haben viele meiner Freunde in den letzten Jahren damit begonnen, zur Erholung in die Berge anstatt ans Meer zu fahren. Und deshalb war mein Opa auch so gerne in den Bergen. Ihn habe ich als unruhigen Geist in Erinnerung; er hat die Dinge immer bearbeitet, vielleicht auch eine Ingenieurs-Krankheit; er hat immer nach Optimierung gesucht. Zur Entspannung hat er gemalt; oft die Berge, oder die Horizonte, weil die sich kaum bewegten. Ich erinnere mich an eine Situation, in der er uns ein Foto von einem Ausblick zeigt: Um die fehlenden Wolken für den perfekten Horizont herbeizuzaubern, hatte er beim Auslösen seine fleischige Hand in die obere linke Ecke des Motivs gehalten. Auf dem Foto sah man sie als verschobenes, rosiges Etwas. Es war sein Versuch, die Natur zu bezwingen. Sein Optimierungsversuch.

Sächselnde Schweiz 1: Schiffsgeräusche
Sächselnde Schweiz 3: Spritz Aperol