Der Brand:

Kastanienallee – Menschen laufen mir in Paaren entgegen. Ich prüfe: sie rennen nicht, sie scheinen vor keiner konkreten Gefahr zu flüchten. Ich trete mein Fahrrad langsam die Straße entlang: immer mehr Menschen, der erste Polizeibus. Ein sanftes Dröhnen in der Luft: dann das erste Feuerwehrauto, und da merke ich es am Geruch: ein Brand. Die Leute im Restaurant gegenüber blicken aus den Fenstern zur Straße hin: Eine Menschenmenge entfernt sich. Mehr Polizei, mehr Feuerwehr, ich steuere auf die Kreuzung zu. Die Scheiben der Bar sind mit grauem Rauch bedeckt. Aus der Eingangstür an der Hausecke qualmt es Wolken nach außen, die Feuerwehr beginnt bedacht ihre Arbeit. Ich traue mich nicht anzuhalten: Anhalten macht mich zum Zuschauer, Zuschauer stören in solch einer Situation.

Aber kaum jemand ist hier. Die Menschen spazieren, die Feuerwehr geht entspannt ihrer Arbeit nach: Sie tragen ihre Schutzkleidung, sie tragen den Schlauch. Ich blicke am Gebäude nach oben: Ist noch jemand drin? Warum herrscht hier keine Panik? Vereinzelt brennt Licht in den Wohnungen, doch es scheint alles leer zu sein. Die Bar qualmt weiter. Ich biege in die Seitenstraße.

Eine Woche später fahre ich wieder an der Hausecke vorbei – es ist spät am Abend. Mein Blick huscht an den großen Scheiben der Bar entlang: Die Stühle sind hochgestellt, und auf den Tischen stehen in kleinen Vasen die ersten Tulpen des Jahres.

January: Thermal underwear, 100 essays and Berlin drawings

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One of the hardest months of the year is coming to an end. The darkness of winter is eating me up, I want to hide inside and just wait till it’s over. Neukölln is not a pleasurable place to be during the winter months – I hate spending time outside after 5pm, which leads to a lot of home office days and me temporarily moving to my friend’s home in Prenzlauer Berg.

Something that helped my dark mood and misanthropy: Avoiding public transport. I stepped up the cycling game, buying thermal underwear, rain clothes, and made a DIY ass-saver (who would buy a bicycle without mud guards?!). When it was -10°C, my most important purchase was a pair of really expensive Roeckl gloves, which I lost one week later. By then, January was well-disposed; temperatures almost spring-like.

Also purchased were too many books this month: Brian Christian’s The Most Human Human, Sarah Ruhl’s 100 Essays I Don’t Have Time to Write, and a couple of novels I want to read this year. The latter – 100 Essays – is just a pleasure to read because it consists of really short, really fun musings on theatre. I tend to buy a lot of books and never make it past the first 80 pages, and for a long time I thought I am just not the smart book person I wanted to be. In fact, my attention span is very short when it comes to reading, but oftentimes, I also just choose the wrong ones. I had maybe two or three books last year that I read in one go, for example Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore: A fantastic novel with simply the right amount of zeitgeist and magic. I bought it at The Curious Fox in Neukölln, which you should pay a visit if you’re into english books.

Other findings of joy this month: This set by Robag Whrume; I did not listen to anything else. Elisabeth’s weekly writing, especially this text after the first week of January. I fell in love with the drawings and paintings of Sholem Krishtalka: An intense capturing of the city and queer clubbing scene in Berlin.

Two more months to go until spring is back.

Eigentlich ganz friedlich

Neulich stand ich an meinem Fenster und blickte auf die Straße; es war einer der ersten Abende, an denen die Stadt mit dicken Schneeflocken bedeckt wurde. Und ich schaute hinunter und hinaus und ich dachte, eigentlich ist es doch ganz friedlich: Diese Stille, die der Schnee mitbringt, das heimliche Knirschen, Menschen, die ihre Autos frei schaufeln. Ich las die Anekdote eines jungen Mannes, der Geflüchteten Deutsch beibringt: wie die Konzentration dahin war, als die Menschen teilweise den allerersten Schnee ihres Lebens gesehen haben – da dachte ich, eigentlich ist es alles ganz friedlich.

An diese Magie des ersten Schnees erinnere ich mich von früher: Schneefrei, weil der Schulbus nicht fährt! Heute ärgern wir uns über die Straßenbahn, die ausfällt, denn Bürofrei gibt es nicht als Erwachsener. Iglus bauen, wenn der Schnee richtig schön pappig ist! Heute? Der Mann, der sein Auto vom Schnee befreit (der, den ich eben noch verträumt dabei beobachtet habe) flucht, und ich finde es auch nicht so toll, das Rad wegen Glätte und Matsch zu Hause lassen zu müssen. Das Rodeln auf dem Berg am Stadtrand! Und heute gehen eigentlich nur noch die Leute rodeln, die selbst schon Kinder haben.

In 24 Tagen geht die Sonne wieder um 7 Uhr 30 oder früher auf (11. Februar). In 40 Tagen wird endlich die Zeit umgestellt: Die Sonne geht erst um 18 Uhr 30 oder später unter (26. März). In zweieinhalb Monaten können wir vermutlich die Winterjacke durch die Übergangsjacke ersetzen (1. April). Bis dahin schaue ich mir die Welt versteckt durch den schmalen Sichtschlitz meiner Winterjacke an.

A beginner’s guide to complete satisfaction (pt. I)

  • Before you start, make sure that you follow this guide at an even time: Wait until it’s half three, or eight, or maybe quarter to ten.
  • Stand in front of your desk. Look at it with a judging eye, and after a few seconds, throw away everything you don’t need. Put all open letters and documents in their respective folders and drawers.
  • Then, look at what’s left: Everything irrelevant gone? Start spreading out all remaining objects evenly on the table; as if their position needed to balance out the tabletop. Afterwards, adjust all objects to a specific angle.
  • Sit down in front of your neatly arranged desk. Look at your computer, take a deep breath, and switch it on. After the operating system is accessible, navigate to Finder → View → Show View Options. This opens a narrow, floating window with settings.
  • For icon size, chose 16 × 16. Select the maximum grid size, and  for the label position, select “right”.
  • Close the little floating window, then close your laptop. Take a deep breath, and lastly, close your eyes.

Growing Up Is For Trees

In den letzten Wochen, die sich vor den Tag meines Geburtstags reihten, geriet ich in Panik. Torschlusspanik: Jetzt, so schien es mir, wäre die letzte Chance zum großen Wurf: Es schließen sich die Türen zu neuen Aufgaben; Türen zu neuen Bekannten; die letzte Möglichkeit, sich nochmal aufrichtig zu entschuldigen, oder die Chance, mit einer Entscheidung in ein anderes, noch besseres Leben zu gelangen. Die letzte Möglichkeit, besser zu werden.

All das schien mir zu entrinnen. Dabei hatte ich vor einigen Monaten erst die durchaus reizende Gelegenheit, für einige Monate in die USA zu gehen, mit gutem Gewissen an mir vorbei ziehen lassen, ja, sie sogar wissentlich weitergeschickt. Alle meine Freunde gehen auf die 30 zu, oder sind schon mitten drin, und man belächelt mich: 24, das ist doch kein Alter. Sie denken über den Kauf von Wohnungen in der Stadt nach, über Rentenversicherungen und Nachwuchs. Ich habe es dieses Jahr gerade mal geschafft, mir eine Haftpflichtversicherung zuzulegen. 24, wie soll in den Rest noch ein Master reinpassen, eine Weltreise, ein Sabbatical, eine neue Wohnung, mal eine andere Stadt, wo ist da noch Platz für einen besseren Job, wo ich doch den Besten schon habe.

Die Sommer haben nur ein paar wenige Monate. Und gleichzeitig vergehen die Jahre, und Beziehungen passieren, fangen an und beenden sich, und mein Umfeld scheint nicht zu altern. Alle sind einfach da. Nur mir rennt die Zeit davon. Mir ist klar: die Chance auf Änderung ist doch immer vorhanden. Vielleicht sehe ich mir an, wie bequem ich werde, vielleicht sogar faul; wie schwer mir das Fällen von Entscheidungen fällt, und am Ende bleibt es so wie es ist, und dann ist der Zug abgefahren, und ich denke, ich hab nichts gemacht aus meinem Leben.

The First Bad Man

A book I always like to give away as a present is Miranda July’s first collection of short stories, “No one belongs here more than you”. They are all brilliant, weird, and heart-shaking in their own way. You can’t really go wrong with it, there is something for everyone in it, and it always tells you something new.

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With July’s first novel, “The First Bad Man”, it’s a little different. Even though it says on the back cover that I need to buy this twice and give one to a friend, I hesitated to do so. Don’t get me wrong: I enjoyed reading it, and there were many scenes and ideas I really liked: The Globus Hystericus for example, which appears to be the narrator’s main concern at first. Her visits to the doctor weave a beautiful and sad connection between the characters, and strain a golden thread throughout the book. Miranda July has great talent to subtly create scenes and spaces—I immediately felt as a neighbor or observer, hanging around somewhere in the vast, sunny and empty streets of Los Angeles. In a way, the whole story felt a bit like a rumor being spread in the neighborhood—a rumor about this really strange person and her gardener, a story about violence, unrequited love and parenthood.

Before thinking about giving this novel away as a present, I do recommend to read it for yourself first. It’s not for everyone. Also: The german title is “Der erste fiese Typ”, and this just sounds so wrong and absolutely not how Miranda July would speak; you should read it in english if you can.

For the book launch, Miranda created an online store where she sold artefacts that make an appearance in the book. A broken vase, a long dress with many buttons, a spoon or an old envelope—by now it’s all sold. July always adds a layer to everything. I still love that about her.


Read also: My book review on Fridolin Schley’s “Wildes, Schönes Tier” (german)

Describe something you wanted badly and, once you got it, never used

Vielleicht aus einer romantischen Vorstellung heraus habe ich es mir immer wichtig und nützlich vorgestellt, Dinge mit einer Schieblehre zu vermessen.

Schließlich schenkten mir meine Eltern eine zu Weihnachten – edel verpackt, eingebettet in ein samtenes Schutzköfferchen, mit digitaler Maßanzeige – ein wunderbares Geschenk. Pappkarton konnte bis auf mehrere Nachkommastellen millimetergenau bemessen werden.

Das war 2011. Seit vier Jahren liegt die digitale Schieblehre unberührt in meinem Schreibtischcontainer. Oder in der Werkzeugschublade? Ich bin mir gerade gar nicht sicher. Aber sie ist definitiv griff- und einsatzbereit, falls doch einmal etwas schieblehrengenau geprüft werden muss.