
Neon
Jeden Abend tritt der Mann gegenüber auf seinen Balkon. Er fotografiert den Sonnenuntergang. Immer dann, wenn er Himmel kurz rosa aufleuchtet und die schrägen Schatten die Dächer überziehen, kommt er kurz raus und hält er sein Telefon in die Luft.
Eigentlich hat dieser Mann überhaupt kein Gefühl für Licht und Stimmung. Jeden Abend, bis in die Nacht, ist seine Wohnung in einem grellen, kalt-weißen Neonlicht erleuchtet. Es prallt gegen die kargen Zimmerwände und gerüschten Polyestervorhänge. Aber gegen 21 oder 22 Uhr, wenn die Sommersonne im Westen untergeht, steht er auf dem Balkon und fotografiert den rosafarbenden Himmel mit seiner Handykamera. Zumindest in seiner Fotosammlung, oder in seinem WhatsApp Status, oder in seiner Vorstellung herrscht romantische Lichtstimmung.
Vielleicht reicht ihm das.
Young men

Thoughts
ought to be
reliable allies
winning over
to feelings and
melancholy
This summer
the people were fun
jovial cheering to enjoyment
Young men do a shot
record a message
“I don’t want to”
Juni-Liste 2023

- Der Körper sagt die Grenzen an. Er sagt es nicht immer sanft, aber er sagt es. Dass mich das immer noch ab und an überrascht, ist fast schon lächerlich.
- Im Juni: Sehr viel Kopfweh. Also, nicht Kopfzerbrechen, sondern einfach nur Kopfweh. Bestimmt schmerzt es den Kopf, dass der alters- und erblich bedingte Haarausfall einsetzt.
- Liegt es an der Inflation oder am Älterwerden, dass plötzlich alles um die 100 Euro kostet?!
- Nach der Apple Vision Pro Keynote nur schwer über den Gedanken hinausgekommen, dass dieses Teil weder die Welt noch mein Leben in absehbarer Zeit merklich verbessern wird. Wie mit vielen neuen Technologien und Themen fällt mir die aktive Begeisterung immer schwerer. Wer will in den papierhaften Thomas-Demand-Wohnzimmern der Apple Werbevideos leben?
- Das erste Mal in meinem Leben einen Tischler beauftragt. Kam mir sehr erwachsen vor.
- Der Juni in Aggregatzuständen: Bleiern, matschig, chaotisch. Wie mein Tagebuch. Überall fehlen Einträge, Seiten und Daten sind vertauscht, nichts ist am rechten Fleck.
- Nach der erschütternden AfD-Wahl in Sonneberg wieder kurz an der Welt verzweifelt. Social Media ausschalten hilft. Auch wenn ich weiß, dass Wegsehen die Probleme nicht auflöst: Auszuwählen, wo man hinsieht, hilft, sich zu fokussieren.
- Spät Nachts finde ich im digitalen Archiv eine Videoaufnahme von S. Sie zeigt ganz nah die großen Hände, die eine Katze streicheln. Für 5 Sekunden wieder 22.
- Ein Jahr Village One!
Vier Stunden von Elbe 1

Screenshot / ARD Mediathek
Helga Feddersen (ja, die Wanne ist voll), erzählt über ihren Anfang als Fernsehautorin, und über das Schreiben:
Morgens am Frühstückstisch, wenn ich so dachte: »Jetzt könnt’ Götz doch eigentlich so ’ne kleine Bemerkung machen, »wie lieb du ausschaust«, oder »wie lieb du bist«. Dann ließ er mich immer erzählen und sagte: »Du sprichst so anschaulich. Du könntest sicher Dialoge schreiben. Schreib doch mal ’n Fernsehspiel!« Und das fand ich so grässlich, dass ich da mit dem liebevollen Herzen nichts weiter zu hören kriege als »Schreib doch mal ’n Stück«. Und eigentlich nur um Ruhe zu haben, hab ich gesagt: »Du scheiß Intellektueller, jetzt donner ich dir ’n Stück hin, denn hab ich Ruhe!«
Und dann saß ich da vor den leeren Seiten und wusste eigentlich gar nichts. Dann hab’ ich gesagt: »Ach Götz, sag doch mal, wie fängt man das denn an?« »Ja«, sagt er, »mit Seite Eins fängt immer alles an.«
Dass sie als öffentliche Person immer die Ulknudel war, immer nur witzig und klamaukig, und hinter der Kamera doch so bedacht und sorgsam und präzise, davon erzählt die NDR Doku HELGA – Die zwei Gesichter der Feddersen. Ich hatte sie bisher tatsächlich so gar nicht auf dem Schirm; natürlich, den Song mit der Wanne, den kannte ich, aber sonst? Der Dokufilm zeigt schöne, bedachte und melancholische Perspektiven aus ihrem Leben, und hat mich sehr abgeholt. Noch bis 2024 in der ARD Mediathek.
Dog Person

I never really knew how to talk to dogs. They never seemed to get me, either. And they often felt a bit gross and dirty to me. I was a cat person. Cats are gentle and soft and calm, they don’t smell and they move quietly; always cautious, always in control.
But a while ago, a dog came into my life. She was young and nervous and constantly moving and breathing and freaking me out. She made me nervous, too. There was no calming purring sound, and I missed the soft fur of the cats I was used to.
Over the last months though, we got used to each other. We shared the nervousness, and I know how to talk to her now. I know that she doesn’t really care for my gentle words—she wants to run and play and she wants to chew on rough toys.
As I met a friend’s cat the other day, I noticed a difference. I lost my gentleness, I touched the cat too aggressively, I was—quite frankly—shocked about my interaction with her. It took me a while to slow down again. To be calm, to listen, to await the cat’s next move. But then I heard the soft purring, felt the soft fur against my hands, and it put me at ease again.
I’m teaching that to the dog now. If she wants us to get along, she needs to deal with quietness from time to time. And I need to deal with action from time to time. We’re both getting better at it.
Astra King: First Love

Artwork: Remote Channels
Neues aus dem Hause PC Music: Am 7. Juli erscheint das Mini-Album First Love der Singer-Songwriterin Astra King. Dass unter A. G. Cook und seinem Label seit mehreren Jahren die mitunter spannendste Popmusik veröffentlicht wird: eh klar, und Astra Kings Single-Auskopplung Make Me Cry ist ein schöner, mit Synths aufgeladener Gegenpol zum Hyperpop-Genre. Besonders toll: Das Album-Artwork, das sie im Stil eines Kinder-Lexikons zeigt. Diese Art Direction kam mir bekannt vor, und dann fiel es mir wieder ein: Der Visual Researcher Evan Collins sammelt unter dem Begriff »Utopian Scholastic« seit einiger Zeit Beispiele und beschreibt die Bildwelt treffend:
In some ways this aesthetic is the ‘kids version’ of Frasurbane, with an emphasis on scholastic endeavors, ‘edutainment’, and an ‘end-of-history’ approach to learning. It uses the same classical and ‘timeless’ typography and imagery with Frasurbane, adding in the aesthetic of ’stock photography collage’ depicting the most basic and identifiable depictions of forms and concepts for quick comprehension. This reliance on this style of collage is predicated on two factors in the era; the proliferation of stock photography collections, and the development of desktop publishing & graphics-editing software in the 1980s. Images of flora & fauna connect this aesthetic to the second wave of environmentalism in the late 80s-late 90s.
Das Cover stammt aus der Feder von Remote Channels, zu denen ich online absolut nichts finde. In Anbetracht der Tatsache, dass viele der PC-Music-Veröffentlichungen eine sehr klare und polierte visuelle Sprache haben, könnte Timothy Luke dahinter stecken, der auch jahrelang für die ausufernde Creative Direction von Charli XCX zuständig war (oder es immer noch ist).
Astra King: First Love erscheint am 7. Juli 2023. Man kann es auf Bandcamp vorbestellen.