Annie Ernaux über das Fernsehen

Ich lese gerade Annie Ernaux’ »Die Jahre«; das war gerade in der Bibliothek gerade da und ich habe noch nie vorher einen längeren Text von ihr gelesen. Im Buch beschreibt sie autobiografisch das letzte Jahrhundert in Frankreich; von der Nachkriegsgeneration durch die Pubertät bis ins Eigenheim und zu den Fluchtgedanken aus dem goldenen Käfig heraus (weiter bin ich noch nicht). Akribisch beobachtend hält sie Zeit- und Kulturphänomene und die zugehörigen Gefühle fest, und das ist es, was mich auch immer ein bisschen sticht beim Lesen: In ihrer Beobachtungsgabe finde ich mich wieder, ich kenne das alles, aber aufschreiben kann ich es nicht. Wie macht sie das?!

Jedenfalls habe ich diese Passage übers Fernsehen angestrichen, weil sie gleichzeitig allgemein und präzise ist. So ein Absatz über Computer oder das Internet; den will ich schreiben (oder er kommt noch im Buch, mal sehen).

Das Fernsehen zeichnete jeden Tag und ohne erkennbare Ordnung alles auf, was in der Welt geschah. Ein neues Gedächtnis entstand. Aus dem Magma der Bilder, die man sah, gleich wieder vergaß und ohne Worte abspeicherte, stiegen nur die besten Werbespots, die schönsten und bekanntesten Gesichter, die heftigsten und brutalsten Szenen an die Oberfläche – und schoben sich übereinander, bis man meinte, Jean Seberg und Aldo Moro hätten tot im Kofferraum ein und desselben Autos gelegen.