Wien schwitzt

Verbogener Poller auf Asphalt

U1 nach Leopoldau. Im Zug steht ein junger Mann in einem blassblauen Hemd. Die Arme nach oben gestreckt hält er sich an der Stange fest. Seine Achseln liegen frei, ein Anblick, den man in der stickigen Luft bitte nicht sehen möchte.

Blumenauergasse. Es gibt viele Erotik-Tanzlokale, alle etwas in die Jahre gekommen. An der Tür hängt ein blechernes Schild, »Mädchen gesucht«.

Im Augarten gibt es mehrere kompakte, durch Hecken abgetrennte Rasenflächen, die nur durch eine kleine Öffnung zugänglich sind. Aber sie sind öffentlich, dahinter feiern Familien und Freunde Geburtstage und machen Musik. Am Parkeingang steht groß und in goldenen Lettern: »Allen Menschen gewidmeter Erlustigungs–Ort von ihrem Schätzer«, vom Volkskaiser Joseph II.

Farbenfrohes Hundertwasserhaus in Wien mit bunten Fassaden und Bäumen auf den Dächern

Nach Jahren besuche ich mal wieder das Hundertwasserhaus und das Kunsthaus Wien. Ich erinnere mich an die unebenen Böden, die ihm so wichtig waren, und stelle fest, dass der Ort und die Architektur nichts von ihrer Skurrilität und Magie verloren haben.

Die Stadt ist voll mit jungen Gästen, die für die drei Taylor-Swift-Konzerte angereist sind. Alle Konzerte wurden wegen eines geplanten Terroranschlags abgesagt, nun müssen sie sich andere Beschäftigungen suchen. Nicht so schwer hier. Im Kunsthaus bekommen sie freien Eintritt, und zum Café ein Glas Prosecco gratis. Aus den Lautsprechern spielen sie Taylors Songs in Dauerschleife. Die junge Amerikanerin neben mir singt lauthals mit und schaut ihren Freund verliebt an (er lächelt tapfer). Ich freue mich für sie, aber nach dem fünften inbrünstigen Karaokebeitrag muss ich mich umsetzen.

Gasthaus Hansy. Am Nebentisch sitzt eine amerikanische Familie. Sie fragen sich, aus welchen Tier wohl Wiener Schnitzel gemacht wird. Als die Tochter realisiert, dass es Kalbfleisch ist, veal, aus dem Kind einer Kuh, bestellt sie es nicht. Diese Erkenntnis hat wohl viele noch nicht erreicht.

Der Wiener Prater vom Hotelzimmer aus bei Nacht: Bunt leuchtende Fahrgeschäfte

Vom meinem Hotelzimmer aus sehe ich den Wurstelprater. Durch die große Fensterscheibe flackern Praterturm, Space Shot und das Wiener Riesenrad. Wenn man das Fenster öffnet, hört man bis in die Nacht das euphorische Kreischen der Fahrgäste. Hier im Hotel habe ich genau die Distanz, die ich zu solchen Orten schätze.

Im Joseph Brot wird man am Platz bedient, was ich ungewöhnlich finde für eine so hippe Lokalität. Die Belegschaft trägt eine Uniform, ganz unscheinbar: ein cremefarbenes T-Shirt mit kurzen Jeans.

Am Schwedenplatz hält ein schlaffer, junger Mann eine frische Zigarette in der Hand. Er dreht sich zu dem jungen Mädchen um, das an ihm vorbei läuft, und spricht sie an: »Hey, hast du vielleicht … Snap?« Ich versinke im Erdboden vor Scham.

Der Boden hier hat keine Risse. Keine Spalten, keine Fugen. Die Stadt ist eine glatte Betonfläche. Die Hitze steht zwischen den Häusern und läuft uns an Stirn und Nacken herunter. Bei 35 Grad flüchte ich aus der Stadt.