Im Eis

Eis auf dem Landwehrkanal

Mitten im Februar: Der Landwehrkanal ist zugefroren, und M. drängt darauf, dass wir uns für ein paar Schritte aufs Eis wagen. Es wird die letzte Chance sein; Klimawandel generell, und auch heute: in ein paar Stunden wird die Polizei hier alles abgeriegelt haben. Aber noch schlittern die Kreuzberger und Neuköllner hier auf dem Eis – jemand hat eine Boombox dabei; es gibt Menschen in Schlittschuhen und auf Skiern. Knallbunte Overalls; der Hipster lebt, she’s alive and well. Unter der Brücke: Ein toter Schwan, dramatisch auf dem Eis platziert. Leute haben Blumen drumherum gelegt. Und irgendwo hat jemand ein Loch ins Eis gehackt: vier, fünf Zentimeter, dicker ist das Eis nicht. Jeder Schritt knirscht, und wir klettern mutig/freudig/erregt zurück ans Ufer.

Nur ein paar Kilometer entfernt, im Treptower Karpfenteich, soll zeitgleich jemand unter dem Eis ertrunken sein. Auf Twitter sehe ich einen nackten Mann, der auf Schlittschuhen über das Eis rast und einbricht. Ich war noch nie ein Freund des Nervenkitzels, und Mut ist auch keine meiner ausgeprägteren Eigenschaften – aber zwischen Mut und Dummheit liegt ein schmaler Grad, dessen Exploration mir nicht lohnenswert scheint.

Stunden später laufen wir über die Hobrechtbrücke zurück nach Neukölln. Die Polizei hat, wie erwartet, den Kanal geräumt. Alles ist jetzt leer und das Eis hat seine Stille wieder. Der Schwan wird als letztes entfernt, er hinterlässt eine mit Blumen umrankte Silhouette. Auf der Brücke schauen Menschen auf sie herab.