Vier oder fünf Männer in München

1 — Beim Spaziergang in der Gabelsbergerstraße, durch die Scheibe eines bemalten Schaufensters, nur zufällig in mein Blickfeld geraten, bemerke ich ihn: einen jungen Mann, der zusammengesunken vor einem schwarzen Klavier hängt. Der Kopf geneigt; die linke Hand spielt. Die rechte Hand liegt eingegipst auf seinem Schoß. Ich höre ihn nicht spielen, sehe nur seinen zusammengesunkenen Körper vor dem Instrument, und das gleißende Sonnenlicht passt nicht zur Traurigkeit seiner Körpersprache.

2 — Schellingstraße, Ecke Türkenstraße: Die beiden jungen Männer sitzen auf der Schattenseite des Eckitalieners. Vor ihnen jeweils ein Stück Schinkenpizza. Sie essen nicht, sie rauchen noch. Erst sehen sie aus wie Brüder, aber der eine erzählt von seinen Eltern, die er „meine Mum“ und „mein Daddy“ nennt. Beide tragen wildlederne Segelschuhe, lachsfarbene Chinos und hellgraue Sommerhemden. Sie witzeln über die Münchner Schickeria, und legen sich ungelenk die Papierservietten auf ihre Oberschenkel.

3 — Ich biege in die Residenzstraße ein. Kurz vorher halte ich inne: Auf einem der großen Steinlöwen vor der Feldherrnhalle sitzt ein Typ. Er hat ein breites Kreuz, die muskulösen Beine werden kaum noch von den kurzen Hosen verdeckt. Erhaben schaut er auf die Touristen hinunter. Am Fuß des Sockels hantiert sein Kumpel mit einem Selfiestick. Der Mann auf dem Löwen dreht sich zu ihm um, jede Bewegung eine Pose. Dann blickt er wieder nach vorne, schließt die Augen, hebt das Kinn und wartet auf ein Löwenbrüllen.

4 — Im Dianatempel des Hofgartens spielt jemand Violine. Es gibt viele Zuhörer, alle scheinen verzaubert und dankbar für so einen harmonischen Sommertagsausklang. Auf einem der steinernen Bänke sitzt ein rothaariger Student. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages gleißen durch den Tempel und landen auf seinem blassen Gesicht. Mit geschlossenen Augen lauscht er der Musik – zwei bis drei Liederlängen verharrt er so. Reglos und konzentriert, in aufrechter Haltung, keinerlei Miene. Ihn anzusehen macht alles plötzlich ganz still, obwohl er direkt neben dem Musiker sitzt.