Sommerkörper

Wenn ich abends nach Hause komme und die ausstehende Hausarbeit verrichtet habe, stelle ich mich manchmal, später gegen 21 oder 22 Uhr, gerne ans offene Fenster. Ich schaue auf die blaue Straße. Es gibt hier nur Wohnhäuser, meistens ist nichts los. In der Küche gegenüber wird abgespült, ansonsten ist der Block lichtlos.

Die Geräusche der Familien fliegen von überall her, aber ihn höre ich jetzt ganz deutlich: Unten auf dem Gehweg, keine 30 Meter Luftlinie von meinem Fenster entfernt, weint ein Junge. Das Schluchzen lässt seinen kleinen Sommerkörper zusammenfallen und sich winden, und zwei Meter, nach dem ich ihn erblickt habe, muss er innehalten, sein Schlurfen trägt ihn nicht mehr.

Hey was ist denn los, traue ich mich nicht zu rufen, aus Angst, er könnte mich nicht hören. Oder aus Angst, ich könnte ihn bei seinem Weinen stören. Oder aus Angst, ich wollte die Gründe seines Schocks gar nicht wissen. Oder aus Angst, es ginge mich wohl nichts an.

Die letzten fünf Meter schleppt er sich noch, in denen ich ihm zusehe, vielleicht auch denke, dass ich ihm nicht helfen kann, oder muss, bis zum Hauseingang, der ihm ein Zuhause zu sein scheint.