Gänse schlachten

Fabian ist jetzt knapp 20. Ich erinnere mich an ihn nur als kleinen Jungen mit laufender Nase, der mit einem Eimer frisch gefangener Fische vom Bach hoch über den Hof läuft und grinst.

Er ist mittlerweile raus aus dem Kindesalter, Führerschein bestanden, und zu Weihnachten schlachtet er die Gänse. In diesem Jahr geht es den jüngeren Vögeln an den Kragen; die seien leckerer, und es wären eh zu viele mittlerweile.

Seit jeher werden am Hof die meisten Tiere, die dort wohnen, auch gegessen. Die Köpfe der Hühner abgetrennt, die Fische geangelt und ausgenommen, die Kaninchen gehäutet und gebraten. Einmal gab es Karpfen zu Mittag, die schmeckten muffig und nach Gartenteich, aber alle am Hof haben es geliebt – auch, weil sie endlich die ganze Arbeit, die in den gebackenen Fischteilen steckte, schmecken konnten.

Fabian kümmert sich also um die Gänse dieses Jahr. Als er aus Versehen anstatt der jungen, zum Schlachten freigegeben Gans die Muttergans schlachtet, kommt plötzlich Emotion in die Sache, die vorher so nüchtern zum Hofalltag gehörte. Gänse leben in monogamen Beziehungen, ihr Leben lang. Und als dem Erpel dann klar wird: seine Frau kam fälschlicherweise unters Messer, wird er wütend. So wütend, dass er seine mit dem Leben davongekommene Tochter angreift; ein blutiger Kampf im Gänsestall beginnt!

Aber wir leben im 21. Jahrhundert, auch Fabian, obwohl er seine Jugend auf diesem Hof in diesem winzigen Dorf verbracht hat. Er sucht deshalb auf eBay Kleinanzeigen (das Undercover-Dating-Portal für Nutztiere) eine passende Gänsefrau. Und er wird fündig! Mit dem Traktor holt er die neue Gänsegattin ab.

Doch der Erpel ist misstrauisch: Wer kommt da? Was will sie? Die Kinder auf dem Hof, die eigentlich keine mehr sind, bauen den Gänsestall zu einem Liebesnest um: Raffinierte Rückzugsorte und Gucklöcher ermöglichen dem frisch verkuppelten Vogelduo, zueinander zu finden. Und irgendwann funkt es dann auch. Seitdem gibt es ein neues Liebespaar am Hof; ein Gänseliebespaar. Der Erpel ist wieder unter der Haube, und freut sich über sein Weihnachtswunder.

Und Fabian kann sich den anderen Gänsen widmen; das ist ja seine Aufgabe dieses Jahr. Aber auch hier am Hof ist man im 21. Jahrhundert angekommen – das Rupfen der Federn, das Blutbad, so viel Arbeit. Er gibt die Gänse einem Bekannten, der das industriell macht: Federn entfernen, reinigen, das geht sehr schnell. 10 Euro für alle. Und dann wird gekocht, oben, im ausgebauten Dachgeschoss des Hofes. Alle sind da; die Eltern, die erwachsen gewordenen Kinder und ihre Freundinnen. Und die Gänsemama, die ja eigentlich der Auslöser des kleinen Spektakels war.