Tagebuchbloggen

Februar-Liste 2024

Collage mit Fotos vom Februar 2024

  • Insgesamt verbringe ich viereinhalb Wochen auf Gran Canaria. Ich weiß jetzt: Workation ist für mich wirklich der perfekte Urlaubsmodus. Ich kann arbeiten, und dennoch habe ich dieses Urlaubsgefühl, in dem Langeweile und Müßiggang erlaubt sind.
  • Das Handy zu Hause lassen – ein neuer Praxistipp gegen die digitale Abhängigkeit – ist gewöhnungsbedürftig. Auf dem Weg zum Strand frage ich einen Fremden nach der Uhrzeit, und das war ein überraschend gutes Gefühl; eine belanglose Begegnung, die dann gleich riesige Wellen schlägt. Ich springe sorglos ins Meer.
  • Das Brechen der Wellen ist wirklich extrem genugtuend. Besonders wenn sie riesig sind und sich so überrollen und dann diese glatte, türkise Meeresoberfläche zurücklassen.
  • Ich starre aufs Wasser und bilde mir ein, dass ich ein ganz guter Surfer wäre. Genau wie ich bestimmt auch ein super Skater oder Snowboarder wäre, wenn ich nur mehr Mut (und Street Credibility) dazu hätte.
  • Karneval in Las Palmas. Ich hatte aufwändige Kostüme erwartet, aber alles ist ein bisschen schmuddelig und aus Polyester. Cowboys, mehrere Spider-Men, Julius Caesar in vielen Variationen, Cruela de Vil, unzählige Männer in Frauenkleidern, ein joggender Teufel mit Wanderstöcken, und Indianer. Die politische Korrektheit nimmt man hier nicht so streng.
  • Habe seit Wochen kaum mehr Musik gehört. Podcasts erst recht nicht. Wie und wann machen Menschen das, die nicht allein und mit einem Partner oder mit Kindern leben?!
  • Diese ruhigen ein, zwei Stunden am Morgen, in denen ich alleine am Rechner sitze; in denen der Ort noch ganz leise ist, und der Wind noch frisch, und ich in den Computer tippen kann; die liebe ich sehr.
  • Am Strand liegen: Ich kann das mit der Sonne und dem Wind immer irgendwie nur begrenzt. Es ist schön (nicht so schön wie ein Pool, aber doch schön). Andere machen es stundenlang, ohne Sonnencreme, und schon der Gedanke daran verpasst mir einen Sonnenbrand.
  • Der Mann, der die Koffer ins Flugzeug ein- und auslädt. Ich beobachte ihn mehrere Minuten lang vom Fenster aus, wie er lässig die riesigen Gepäckstücke umher wuchtet. Dass unsere Koffer später so unbeschadet in die Gepäckhalle purzeln, ist nach dieser Tortur ein schönes Wunder.
  • Drei Dinge, die ich in Spanien vermisst habe: ein Fahrrad, einen großen Monitor zum Arbeiten, Brot. Drei Dinge, die ich aus Spanien vermissen werde: die Krabben auf den Klippen, die riesigen Agaven, die Stille.
  • Zurück in Deutschland: Es dauert keine 24 Stunden, bis mich der Alltag wieder überrollt hat, die Arbeit und der Haushalt und diese graue Stadt. Es ist dennoch gut, zurück zu sein, und ein bisschen Sonne gibt es auch.
  • Rene Pollesch ist überraschend gestorben. Ich erinnere mich an die Theaterabende in der Volksbühne Anfang der 2010er Jahre – Kill your Darlings und Don Juan besonders, und wie sehr wir uns darin wiedergefunden haben und wie sehr sie meinen Blick auf Welt verändert und geschärft haben. Das mit Anfang 20 zu erleben, im Theater of all places, war wirklich besonders und ich bin sehr dankbar dafür.

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Januar-Liste 2024

Collage Januar 2024

  • Ich starte das Jahr viel zu früh mit der Arbeit. Kein guter Vorsatz, aber es ist auch schön, in der ersten Woche die Aufgaben ein bisschen herumplätschern zu lassen. Alles ist noch ganz langsam.
  • Ich strenge mich an, jeden Tag zu lesen, zu meditieren und zu schreiben. Schon an Tag vier sind die Aktivitäten weit Richtung Tagesende gerückt. Aber ich halte durch. Es tut mir gut. Konzentration ist sexy.
  • Ich treffe Gabby im Haus am See. Sie sagt, dass sie seit langer Zeit mal wieder das Gefühl hätte, dass die Menschen hoffnungsvoll seien. Ich will dieses Gefühl auch, und halte danach Ausschau.
  • Austin Kleon beantwortet die Frage »How do you deal with uncertainty when exploring something new?« auf Instagram mit ein paar Zitaten und der einfachen Folgerung: »Uncertainty is necessary.«
  • Im Fitnessstudio frage ich mich: Was schreiben die hotten Typen in ihre kleinen Notizbüchlein, zwischen den Übungen? Konzentriert starren sie hinein, in Denkerpose, und ich stelle mir vor, wie sie da sitzen und kleine Haikus schreiben.
  • Die Straßen sind aalglatt, man kann durch Kreuzberg schlittern. Vor dem Späti sitzt ein Mann, der aussieht wie ein Yeti.
  • Ich treffe Jan im Keyser Soze, wir reden viel über die Arbeit, auch, weil wir beide viel und gerne arbeiten. Er sagt: Mut habe ihn immer weitergebracht; Risiko habe sich immer gelohnt für ihn. Bei der Arbeit, und im Privaten. Das macht Mut, finde ich.
  • Morgens im Café bestelle ich zwei Schoko Croissants zum Mitnehmen. Das Café ist riesig und leer; ungewohnt für Berlin. Die Frau am Tresen lächelt und bietet mir eine kostenlose Gurke an. Nehme ich natürlich gerne!
  • Vier Wochen verbringe ich zwischen Januar und Februar auf Gran Canaria. Die größte Verlockung überhaupt: Sonne! Aber auch das Remote Arbeiten funktioniert gut. Der Modus, sich tagsüber zu konzentrieren und dann Urlaub in kleinen Dosierungen zu machen, passt gut zu mir.
  • Vor allem aber: Es gibt hier keine Fomo, Fear of Missing Out. Ich bin einfach weg. Ich muss nirgendwo sein. Es ist großartig.
  • Ich sitze im Taxi und schaue aus dem Fenster; ein Angestellter der Straßenreinigung kehrt den Gehweg mit einem riesigen Palmenblatt.
  • »Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer verbleiben zu mögen.« — Blaise Pascal

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Dezember-Liste 2023

Collage mit Fotos aus dem Dezember 2023

  • Irgendwo bin ich im Internet falsch abgebogen. Meine Instagram Empfehlungen bestehen ausschließlich aus Hexen-Content (»Hier sind meine fünf Tipps für magische Rituale bei Vollmond«) und Werbung für unangenehme Event-Gastronomie (Gnocchi mit Steak, dazu live vor den Gästen angezündeter Schokokuchen).
  • Wir kaufen Käse beim italienischen Deli am Kottbusser Tor. Andrea bemerkt: »Seltsam, dass Deutsche immer total anders werden wenn sie so ein Geschäft betreten. Viel freundlicher. Sie lächeln!« In einer deutschen Metzgerei würde das nicht passieren. Vielleicht, weil Italien für Deutsche immer Genuss und Urlaub bedeutet – etwas, was sie sich sonst selten erlauben.
  • Telefonat mit Bastian. Wir sprechen über den Habitus gut gekleideter Art Direktoren und ich sage, dass ich auch gerne so wäre. »Dein Vibe ist kreativ und ein bisschen intellektuell, aber du hast schon auch eine Peter-Lustig-Qualität.«
  • Nach wochenlangem Aufschieben nehme ich mir vor, die Leuchten in der Wohnung endlich anzuschrauben. Ich hasse bohren; es klappt nie und ist laut und schmutzig. Aber ich zeichne alles an, lege alles bereit. Und nach dem ersten halben Loch gebe ich auf: Die Wand ist zu hart, ich bin zu zart.
  • Gleich ist der Dezember vorbei. Das Jahr ist nur so durchgerauscht. Was ist überhaupt passiert?! Mich überkommt das Gefühl, kaum etwas erreicht zu haben, das mich stolz und zufrieden macht. Stimmt natürlich nicht. Aber ich nehme mir für 2024 vor, gezielter, geplanter und strategischer vorzugehen, und male einen Jahresplan in mein Notizbuch.
  • Wenn ich das Jahr nämlich nicht durchplane, macht es jemand anders für mich, und am Ende werden alle Monate von Arbeit oder unliebsamen Ereignissen aufgefressen; und darauf habe ich wirklich keine Lust!
  • Mehr gibt das Tagebuch nicht her. Kaum Notizen diesen Monat. Ist aber auch okay; der Dezember bestand nur aus To-Do-Listen mit Dingen, die irgendwie einfach erledigt werden mussten. Ich habe jeden Tag zum Mach-deine-Scheiße-Tag erklärt, und irgendwann bin ich davon müde ins Bett gefallen, und das hat gut getan.

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November-Liste 2023

Collage aus Fotos vom November 2023

  • November: Müde und rastlos und immer viel zu lange wach. 22.22 Uhr ist deshalb so eine magische Zeit, weil der Tag ab da beginnt, sich aufzulösen. Die einen gehen ins Bett, die anderen gehen raus, und ich hatte im November ab da dann oft einen guten Arbeitsschub.
  • Ich beschwere mich bei einer Freundin, dass ich immer noch nicht wüsste, was genau ich zu erzählen hätte. »Aber so oder so erzählst du doch schon«, sagt sie.
  • »You are a very sensible person; I notice that you notice more things than others.« Wenn eine Person, die dich noch kaum kennt, so etwas zu dir und über dich sagt – ist das gut oder schlecht?
  • Ich sitze mit meinen Eltern vor dem Fernseher, wie schauen eine Doku über Evelyn Hamann und Loriot. Mein Vater kommentiert ihre Zusammenarbeit: »Wenn die Arbeit Spaß macht, kommt meist was Gutes dabei heraus. So viel zum Thema Künstliche Intelligenz.“ Es steckt wenig Freude in KI.
  • Eine Freundin zeigt mir Fotos von ihren Tauchgängen, Wal-Sichtungen und nordischen Polarnächten. »Dieser Ort wäre perfekt für dich. Ganz leise da.« Es klingt so schön, vielleicht darf ich mich der Welt nicht so verschließen.
  • Ich verbringe einen inspirierenden Abend mit Freunden und ihren Freunden. Sie erzählen von ihrer Arbeit, alle sind sehr geschäftig. Wie machen die Leute das? So viel so gut hinkriegen? Als hätten ihre Tage 48 Stunden, an denen sie über Kontinente jetten und an tausend Projekten zeitgleich arbeiten können. Hätte mein Tag 48 Stunden; ich würde komplett durchdrehen. 24 sind mir schon zu krass!
  • Ich schaue vom Treppenhaus auf die Straße. Zwischen den Autos landet ein Adler und blickt hektisch um sich. Beim genauerem Hinsehen merke ich, dass er auf einer Taube sitzt – er hadert, wie er sie am besten erlegen soll. Die Ampel schaltet auf grün, die Autos fahren los, beide Vögel fliegen verstört davon.
  • Seit Ewigkeiten mal wieder auf einem Konzert gewesen (Hannah Diamond, im Lido). Es war kurzweilig und schön und vielleicht sind Konzerte wirklich genau mein Ding – ich besuche sie nur viel zu selten.
  • »Also, ein Stein kann ja weder lebendig noch tot sein. Na ja. Außer du, du bist ein lebender toter Stein«, wird mir gesagt, als wir über die Frage sprechen, ob es eine Bewusstseinsalternative zu Lebendigkeit gibt.
  • Im KaDeWe vor dem Aufzug treffe ich L. Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen und sind im Streit auseinandergegangen. Wir starren uns an, voller Entsetzen, und umarmen uns ungelenk zur Begrüßung. Nach kaum mehr als zwei Minuten Fahrstuhlsmalltalk ist es wieder vorbei.

Oktober-Liste 2023

Collage für Oktober 2023

  • Ich nutze die Herbstsonne und mache einen Spaziergang zur Bibliothek. Die Straßen sind ruhig, jemand sonnt sich auf den Bänken, eine Mutter sammelt mit ihrem Sohn Kastanien. Kurz vor dem Rückgabeautomat der Bibliothek fällt neben mir ein kleiner Spatz vom Himmel. Er ist sofort tot.
  • Der Ticket-Kontrolleur an der Fähre schaut uns prüfend an. Ob wir zusammen seien, fragt er auf italienisch. Er schmunzelt und genießt seine Macht wie ein Türsteher. Warum müssen wir uns das fragen lassen? Einem heterosexuellen Paar wäre das in keiner Konstellation passiert.
  • Ein letztes Mal im Meer baden. Es fühlt sich schön an. So weich und ruhig. Ich bin fast ganz alleine im Wasser. Es ist abwechselt warm und kalt und ich will nicht, dass der Moment aufhört.
  • Ich lese darüber, wie man Balkonpflanzen am besten überwintert. Man wickelt sie in Polsterfolie und Jute ein, und stellt sie ins Treppenhaus. Solche Probleme hatte ich vorher nie; ich mache sie mir am letzten warmen Herbsttag zu eigen, und genieße sie.
  • Jan ist in der Stadt, ich bin zum Abendbrot eingeladen. Nach dem Essen spiele ich mit seinem Sohn, wir hören Tabaluga und Sesamstraße auf der Toniebox und ich kaufe in seinem Einkaufsladen ein. Gegen 21 Uhr muss er ins Bett; er will nicht. Ich denke: Was würde ich dafür geben – um 21 Uhr ins Bett gebracht und zugedeckt werden, und den Tag und den Trubel beendet bekommen.
  • Manchmal blättere ich abends im Blog, stolpere über alte Texte und Links. Seit zwei Jahren habe ich nichts wirklich substanzielles mehr produziert, zumindest fühlt es sich so an.
  • Ich lese in einem Roman über die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, und stelle fest, dass ich meine Eltern nie so richtig nach ihrem Leben gefragt habe. Das macht man irgendwie nicht, in der Kinderrolle. Nehme mir vor, das nachzuholen.
  • Manchmal fühlt es sich hier ein bisschen einsam an. Also nie schlimm, aber so im großen Ganzen. Ich glaube, es liegt an der Stadt. Daran, dass hier alle immer so weit weg sind, und so sehr mit sich selbst beschäftigt. Ich ja auch.
  • Ansonsten im Oktober: Zwei Erkältungen ausgeschnäuzt, 5000 Liter Ingwertee getrunken, eine Teamwoche gehabt, einen riesigen Schokokuchen gebacken, ein winzig kleines Baby im Arm gehalten.

September-Liste 2023

Collage mit Fotos aus dem September 2023

  • Am Nordbahnhof tritt ein junger Mann auf die Straße und übergibt sich mehrfach und leidvoll. Ich warte eine Weile und frage ihn, ob er etwas brauche. Er bittet um ein Taschentuch, ich gebe ihm eine Packung. Diese von Ekel erfüllte Distanz zwischen uns bei der Übergabe war eigentlich gar keine Absicht; ich glaube, sie ging unterbewusst von uns beiden aus.
  • Mehrere spätsommerliche Abende verbringe ich am Laptop, mit kleinen Nebenprojekten wie der Neuauflage vom Besten Witz, oder dem Lernen eines Website-Frameworks. Ich genieße die Stille und den Fokus, in den mich die Arbeit zieht.
  • »Im not messy, I’m busy!«, sagt Frances Ha, als sie ihr unordentliches Zimmer vor ihrem Gast rechtfertigt. Nach Jahren schaue ich den Film von Greta Gerwig ein zweites Mal. Ich bin zu alt dafür geworden, aber einige Szenen berühren mich trotzdem noch.
  • War zum ersten Mal bouldern. Hate to say it, aber es hat wirklich Spaß gemacht. Nachdem in den ersten zehn Minuten alle meine Vorurteile bestätigt wurden (merkwürdig unscheinbares Publikum, belehrende Typen, strenger Geruch), konnte ich mich drauf einlassen, und werde es vermutlich wieder tun!
  • Ich gehe mit P. zur Lesung einer Autorin, die gerade ihren ersten Roman veröffentlicht hat. Wir reden über junge Autor·innen, die oft über Twitter oder Instagram berühmt, dann von Verlagen zu einem Bildungsroman verpflichtet werden, und so für immer dieses Label tragen.
  • Urlaub in Italien. Auf den ersten, flüchtigen Blick ist Neapel ziemlich schmutzig. Auf den zweiten auch. Aber die Pizza ist wirklich gut! In den Cafés läuft Neomelodico Napoletano; neapolitanische Balladen. Die Menschen hier können sich nicht entscheiden zwischen dem Fußballgott Maradona und Jesus, und beten deshalb beide an.
  • Pompeji. Auf einem erhaltenen Fresko reitet ein kleiner pummeliger Junge auf einer Krabbe. Absurd, dass diese über 2000 Jahre alten Wandmalereien erhalten sind. Ein Archäologe erklärt, dass die großen Löcher im Putz daher kämen, dass Menschen die Fresken gestohlen und verkauft hätten.
  • Kurz nachdem wir Neapel verlassen und auf die nächste Insel fahren, lese ich über die phlegräischen Felder. In der kommenden Nacht wird Neapel von einem Erdbeben erschüttert. Einige Zeitungen titeln, die Leute seien schreiend auf die Straße gerannt. Ich muss mich anstrengen, Ruhe zu bewahren, und komme mir dumm vor. Einerseits, hierhin zu reisen, zu der Zeit, in der Expert·innen Unruhen vermelden. Anderseits, weil ich so unentspannt bin, und mich dem Studel der Panik hingebe.
  • Ich esse ein Babà; ein in Rum eingelegtes Gebäck. Ich traue mich kaum. Alkohol ist für mich seit jeher etwas Verbotenes; es darf mir nicht schmecken. Ich brauche lange, um mir einzugestehen, dass es mir aber doch ganz gut geschmeckt hat. Immer wieder stolpere ich über Denkmuster aus meiner Kindheit und Jugend, die es zu verlernen oder neu zu lernen gilt.
  • Ich stehe auf dem Balkon der Ferienwohnung. Auf dem kleinen Insel-Ausläufer, auf dem die Festung steht, dreht sich das Licht eines Leuchtturms. Darüber hängt der Mond. Unten in der Stadt singt ein Pianobar Popsongs; ein Auto fährt den Hügel hoch. Am Horizont funkelt die Küste, und Neapel, und den Vesuv hat die Dunkelheit schon verschluckt.
  • Es ist neun Uhr morgens, ich lese am Strand im Schatten einer Pergola. Neben mir setzen sich vereinzelt immer wieder alte italienische Männer; Nonni. Sie haben dunkle, schrumpelige Haut, vom Rauchen oder von der Sonne, vermutlich von beidem; es geht ihnen gut.
  • Abends an der Strandpromenade. Ich starre eine ältere Frau mehrere Sekunden lang an, weil ich mir sicher bin, wirklich sicher!, dass sie eine dieser Spaßbrillen mit angehefteter Kunststoffnase trägt.

August-Liste 2023

Collage mit Fotos aus dem August 2023

  • An einem Samstag spaziere ich über einen Markt, einen richtigen, mit lokalem Gemüse und selbst gebackenem Brot und so. Die Verkäuferin am Käsestand sagt zu ihrer Kundin: »Also dieser hier ist wirklich extrem stinkig. Den würde ich nicht in der Wohnung haben wollen.«
  • S. sagt: »Das einzige, was ich am Älterwerden wirklich schlimm finde, ist die Tatsache, dass ich immer mehr Freude am Leben habe. Je älter ich werde, desto lieber lebe ich. Eigentlich sollte es doch andersrum sein.«
  • »I didn’t know what I was thinking, but now I know«, erzählt eine Kursteilnehmerin über ihre Erfahrung beim Automatic Writing.
  • Die Autokorrektur meines Telefons korrigiert Filterbubbles zu Folterbänke, und da ist, wenn man um zwei Ecken denkt, ja wirklich was dran.
  • Die amerikanische Künstlerin Korita Kent schreibt in ihren 10 Rules for Students, Teachers, and Life: »Rule Eight: Don’t try to create and analyze at the same time. They’re different processes.«
  • Ich verbringe ein paar schöne Tage im Harz. Wir marschieren inmitten vieler agiler Berghexen den Brocken nach oben (bzw. vor allem nach unten). Das Problem am Wandern für mich ist, dass ich mich so sehr auf die Wege und die Steine und die Umwelt konzentrieren muss, dass ich nicht ins Nachdenken komme. Also mal nicht nachdenken; eigentlich auch ganz gut.
  • Ich fühle mich als hätte ich einen geheimen Code bzgl. meiner Essensproblematik gelöst. Plötzlich klappt es. Ich kann in Gesellschaft frühstücken und danach losgehen und brauche keine langen Pausen mehr, und unterwegs habe ich eine komplette Bratwurst mit Bratkartoffeln gegessen, ohne dass mit übel wurde. Ich denke einfach daran dass ich einen großen starken Körper haben möchte, und dass ich dafür eben essen muss. Simple things! Small steps!
  • Erschöpft vom Tag liege ich nur in Unterwäsche auf dem Hotelbett. Die Luft ist warm und träge, der Himmel wolkenverhangen, ein Licht auf dem Nachtisch ist an. Durch das offene Fenster höre ich jemanden, der langsame, einsame Melodien auf dem Saxophon spielt. Ein paar Kinder spielen auf dem Rathausplatz, sonst passiert nichts.
  • Im Hotel liegt jeden Morgen ein Faltblatt mit Wetter, Spruch und Ausflugstipp auf dem Frühstückstisch. Außerdem ein Rätsel: »Ich habe fünf Finger, aber ich lebe nicht. Was bin ich?«
  • Auf dem Heimweg sprechen mich zwei junge Mädchen an. »Hast du einen Euro?« Nein, kein Kleingeld, tut mir leid. »Hast du einen Cent?“ Nein, sorry. Vermutlich war das gelogen. Dann fragen sie: »Bist du arm?!« Zugegeben, das war entwaffnend.
  • Hab viereckige Augen vom ins-Handy-gucken. Unsere Eltern hatten recht! Zum Ausgleich liege ich spätabends lange auf der Terrasse und schaue in die Sterne, und meine Augen formen sich langsam zurück.
  • Barbie was everything, Oppenheimer was just … na ja.
  • Vor A.s Café ist ein Auto abgebrannt. Es war wohl ein Kabelbrand, aber die Straße sieht aus wie nach einem Attentat. Der Baum über dem Parkplatz ist verkohlt, und die Scheibe zum Café ist wegen der Hitze geplatzt. Die Markise ist nur leicht verkohlt, es war alles ein großes Glück im Unglück.
  • »Etwas von der Zeit retten, in der man nie wieder sein wird«; endlich Annie Ernaux’ Buch Die Jahre fertig gelesen, großartig.